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gelisten ausgeschieden wird. Solche Ausscheidung geschieht sogar dort, wo diese Beziehung zur Beleuchtung des Gegensatzes zwischen Altem und Neuen Testament dienen könnte wie in der Geschichte vom Hauptmann zu Kapernaum, die nach dem Matthäustext wiedergegeben wird[1], um den Lukasvers zu umgehen „Er hat unser Volk lieb und die Schule hat er uns erbaut“, aber ohne die Mahnworte: „Ich sage euch: Viele werden kommen vom Morgen und vom Abend und mit Abraham und Isaak und Jakob am Tische sitzen, aber die Kinder des Reiches werden ausgestoßen in die Finsternis hinaus, da wird sein Heulen und Zähneklappen.“ Diesen Vers, der zu den härtesten Worten Jesu gegen das fromme Israel gehört, getraute man sich offenbar seinen Lesern nicht verständlich genug machen zu können. Unter diesen Umständen brauchen wir uns nicht zu wundern, wenn die Leute beim Einzug Jesu in Jerusalem nicht rufen dürfen: „Hosianna dem Sohne Davids! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn“, sondern sich auf den Zuruf beschränken müssen: „Heil und Segen dem Gottgesandten! Gelobt sei Gott!“[2] Auch die rufenden Blinden dürfen in Jesus nicht den erwarteten Messias begrüßen, wie sie es nach dem einmütigen Zeugnis aller Evangelisten tun mit der Bitte: „Ach Herr du Sohn Davids, erbarme dich unser.“ Bartimäus darf nur sagen: „Krist Gottes, erbarme dich mein“, obwohl doch schon das Wort „Christus“ die gleiche Bedeutung wie das Wort „Messias“ hat. Die Geschichte vom kananäischen Weib fällt ganz aus. Sie sei in ihrem Grundcharakter nicht erkennbar, meint Grundmann.[3] An dieser Geschichte muß ja alles den deutsch-christlichen Leser stören, der Bittruf der Frau „Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich mein“, die harte Antwort Jesu „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen vom Hause Israel“, und gar die Zuspitzung „Es ist nicht fein, daß man den Kindern ihr Brot nehme und es vor die Hunde werfe“. Es darf eben nichts vor die Augen des Lesers kommen, was ihn irgendwie in seinen gewohnten Anschauungen beunruhigen könnte, nichts, womit er sich auseinandersetzen müßte. Es wird sogar in der Geschichte vom alten Simeon verschwiegen, daß sie im Tempel spielt. Wir hören nur, daß die „Eltern mit dem Jesuskind kamen, um es vor Gott zu bringen.“[4] Man wundert sich nur, daß von diesen Grundsätzen immer einmal Ausnahmen gemacht werden, daß z. B. die Geschichte vom zwölfjährigen Jesus im Tempel aufgenommen worden ist und


  1. „Seine Botschaft“, „Jesus ruft zum Glauben“ Z. 11–26
  2. „Sein Kreuz“, „Der letzten Entscheidung entgegen“ Z. 21f
  3. Quellenangabe bisher nicht möglich, da der Bearbeitung Volltexte von bsplw. Grundmann: Unsere Arbeit am Neuen Testament (1939) nicht vorliegen
  4. „Sein Ursprung“, Z. 53
Empfohlene Zitierweise:
Karl Fischer: Das Volkstestament der Deutschen Christen. Bekennende Evangelisch-luth. Kirche Sachsens, Dresden 1940, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Volkstestament_der_Deutschen_Christen.pdf/10&oldid=- (Version vom 28.7.2023)