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bestätigt, sondern in ihrer ganzen Zerstörungskraft enthüllt. Es ist kennzeichnend genug, daß das abträgliche Wort „Kirchentum“ gebraucht wird, wo wir mit ehrfürchtiger Anbetung von der Kirche Jesu Christi reden und singen. Kirchentum – das soll heißen, daß die Kirche nur etwas Äußerliches ist, nur eine Organisation, nur ein menschliches Hilfsmittel, das man ändern oder auch ganz beiseitelegen kann. Nichts, nichts davon, daß die Kirche einen Leib hat wie wir alle unseren Leib haben, und daß bis zum Anbruch des neuen Lebens am jüngsten Tage Leib und Seele nicht getrennt werden können, ohne daß man stirbt. Auch die Seele des „Christentums“, wenn dieses Wort in diesem Zusammenhang überhaupt ein Recht hat, muß sterben, wenn man den dazu gehörigen Leib verneint. Es ist eitel Schwärmerei, Jesus Christus ehren und lieben zu wollen, ohne seine Gemeinde zu lieben. Das Neue Testament muß uns aus den Händen fallen, wenn wir es nicht als Fundament und Bekenntnis der „einen heiligen christlichen Kirche“ in die Hände nehmen. Was kann es für uns als Gemeinde Jesu Christi ausmachen, nach welchen Grundsätzen die Evangelisten die ursprünglichen Erzählungen zusammengestellt und gedeutet haben? Für uns ist das die Ordnung und „Deutung“ der Kirche, das Bekenntnis der Kirche zu dem, was Gott in Jesus Christus für die Menschheit getan hat. Aber freilich – das alles ist für die Männer des Volkstestaments eine fremde Welt. So wenig wie sie eine Heilsgeschichte kennen, die zu Jesus Christus hinführt, so wenig können sie eine Heilsgeschichte kennen, die von Jesus Christus herkommt. Für sie ist der Geist Gottes einfach der in der Geschichte der Menschen waltende Geist. Gott spricht kein besonderes Wort, seine Geschichte geht nicht quer durch alle Menschengeschichte hindurch. Seine Wege sind im Grunde nur die Wege des Menschen, von einem „höheren“ Gesichtspunkt aus gesehen.

Das Nachwort des Volkstestaments schließt mit dem Aufruf: „Lernt mit Jesus glauben an den Vater, und strebt mit ihm nach seinem ewigen Reich.“ Mit Jesus glauben! Die ganze Armut der neuen Verkündigung wird hier offenbar. Aus einem solchen Glauben hätte das deutsche Volk für anderthalb Jahrtausende seine Kraft nicht schöpfen können. Dieser Glaube ist nicht mehr von den ewigen Geheimnissen umwittert, die in der Seele unserer großen Dombaumeister lebten. Diesem Jesus, mit dem wir den Weg des Glaubens gehen sollen, hätte

Empfohlene Zitierweise:
Karl Fischer: Das Volkstestament der Deutschen Christen. Bekennende Evangelisch-luth. Kirche Sachsens, Dresden 1940, Seite 15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Volkstestament_der_Deutschen_Christen.pdf/17&oldid=- (Version vom 28.7.2023)