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Frau Käti schloß das junge Mädchen liebevoll in ihre Arme.

„Sie kennen mich, liebe Rita – nein, jetzt muß ich wohl Charlotte sagen –. Wie sollte ich Ihnen wohl etwas verargen, das ich vollständig begreife. Und meiner Diskretion sind Sie ebenso sicher. – Was gedenken Sie nun zu tun, Liebste?“ fügte sie herzlich hinzu.

„Das, was meine Pflicht ist. Mein Vater hat seinem Bruder manch’ trübe Stunde bereitet, hat ihn eigentlich aus der Heimat vertrieben. Die Schuld meines Vaters an dem nach Möglichkeit gutzumachen, der mein einziger Verwandter, mein Onkel ist, halte ich für eine selbstverständliche Aufgabe, der ich mich ohne Säumen, unbeeinflußt von den etwaigen pekuniären Vorteilen, unterziehen möchte, – wohlverstanden, falls Sie es mir gestatten, sofort abzureisen.“

„Aber natürlich gestatte ich’s,“ beeilte Frau Deprouval sich zu erwidern. – Und nach kurzer Pause fügte sie etwas verlegen hinzu … „Ich selbst habe ebenfalls die Absicht, München für einige Zeit, vielleicht für immer zu verlassen.“ –

Bereits mit dem Mittagszuge reiste das junge Mädchen nach Berlin ab, nachdem mit ihrer Herrin verabredet worden war, daß diese ihr alles weitere hauptpostlagernd nach der Reichshauptstadt mitteilen solle.

Kaum war Frau Deprouval aber vom Bahnhof zurück, wohin sie die ihr persönlich so nahestehende Erzieherin ihres unglücklichen Kindes geleitet hatte, als sie auch schon mit allem Eifer die Vorbereitungen zu ihrer eigenen Reise traf.

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Empfohlene Zitierweise:
W. von Neuhof: Das graue Gespenst. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 47. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_graue_Gespenst.pdf/48&oldid=- (Version vom 31.7.2018)