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Teil begeisterte Anhänger des Spiritismus – geradeso wie auch meine Mutter – waren. Jede Woche wurden in unserem Salon mit Hilfe eines wirklichen Mediums, das später als Betrügerin entlarvt ward, spiritistische Sitzungen abgehalten. Meine Mutter wurde durch diese Sitzungen, in denen unter anderem auch der Geist meines Vaters des öfteren erschienen sein soll, derart nervös und reizbar, daß ich sie flehentlich bat, ihre Verbindung mit den Spiritistenkreisen abzubrechen. Doch sie war bereits so tief in die Rätsel dieser mit übernatürlichen Dingen sich beschäftigenden Glaubenslehre verstrickt, daß sie auf meine gutgemeinten Ermahnungen nicht mehr hörte.

Zu den Gästen, die ständig in unserem Hause verkehrten, gehörte nun ein junger Amerikaner, der sich angeblich zur Erlernung der deutschen Sprache und Gewerbebetriebe in Hamburg aufhielt. Charles Deprouval entstammte einer im 18. Jahrhundert nach den Vereinigten Staaten ausgewanderten französischen Familie. Seine Manieren, sein einschmeichelndes Wesen, nicht minder sein anziehendes Äußeres verschafften ihm überall Eingang in die besten Kreise der sonst sehr zurückhaltenden Hamburger Gesellschaft. Auch Deprouval war Spiritist, aber wohl kaum aus Überzeugung. Mich, das damals siebzehnjährige Mädchen, behandelte er mit einer achtungsvollen Herzlichkeit, die mir wohltat, da ich fast gar keine Freundinnen besaß. Bald merkte ich, daß sein Interesse für meine Person nicht so ganz harmlos war, daß er … als Bewerber um meine Hand auftrat. Mir, dem unerfahrenen, halben Kinde schmeichelten diese Huldigungen eines Mannes, dem die Frauen allerlei Freiheiten gestatteten und der doch achtlos an ihnen vorüberzugehen schien. Eines Morgens – es war nach einer am Abend vorher abgehaltenen spiritistischen Sitzung – sagte mir meine Mutter, daß

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W. von Neuhof: Das graue Gespenst. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 55. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_graue_Gespenst.pdf/56&oldid=- (Version vom 25.7.2016)