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Eröffnung des Testamentes der unglücklichen Frau statt. Es war ein sogenanntes eigenhändiges Testament, und es besagte, daß ich auf das Pflichtteil gesetzt und mein Gatte der Universalerbe sei. Gegen meinen Willen focht mein Vormund diese letztwillige Verfügung unter der Einwendung an, die Erblasserin sei bei Niederschrift der Urkunde nicht mehr zurechnungsfähig gewesen. Ein ganzes Jahr dauerte der Prozeß, der von meinem Vormund für mich gewonnen wurde. In den Verhandlungen kamen Dinge zur Sprache, die mir bewiesen, daß Charles nichts war, als ein gewissenloser Erbschleicher, der mit Hilfe der spiritistischen Sitzungen und des von ihm bestochenen Mediums meine Mutter seinen Wünschen gefügig gemacht hatte. Leider waren seine beiden Haupthelfershelfer Timpsear und Shepperley, als sie kaum von dieser für sie so ungünstigen Wendung erfuhren, schleunigst geflohen. Sonst hätte der Staatsanwalt wohl genügend Belastungsmaterial gegen die drei Freunde zusammenbekommen, um sie unter Anklage zu stellen.

Gleich nach diesen Vorfällen reichte ich gegen meinen Gatten, obwohl inzwischen mein unglückliches Kind geboren war, die Scheidungsklage ein. Bei dem Versöhnungstermin vor dem Richter verstand er es jedoch noch einmal, mich mit schönen Worten zu umgarnen. Flehentlich bat er mich, ich solle doch im Interesse unseres Kindes bei ihm bleiben. Ich gab schließlich nach, obwohl mein Vormund mich dringend warnte. Freilich hatte ich meinem Gatten erklärt, daß wir nie mehr zusammen, sondern nur nebeneinander leben könnten. Und so geschah es auch. Wir sahen uns nur bei den Mahlzeiten. Jeder hatte seine Zimmer, die der bewohnte.

Da das Vermögen meiner Mutter mir zugefallen war, konnten wir, obwohl ich von beiden Erbschaften

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W. von Neuhof: Das graue Gespenst. Verlag moderner Lektüre G.m.b.H., Berlin 1920, Seite 58. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_graue_Gespenst.pdf/59&oldid=- (Version vom 31.7.2018)