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wieder ausstrecken. Die gebeugte Stelle eines dicht eingebogenen Tentakels findet sich in einem Zustande activer Zusammenziehung, wie sich aus dem folgenden Experimente ergibt. Es wurde Fleisch auf ein Blatt gebracht; nachdem die Tentakeln dicht eingebogen waren und vollständig aufgehört hatten sich zu bewegen, wurden schmale Streifen der Scheibe, an denen einige wenige äuszere Tentakeln saszen, herausgeschnitten und unter das Mikroskop gebracht. Nach mehrfachem Mislingen gelang es mir, die convexe Oberfläche des gebogenen Theils eines Tentakels abzuschneiden. Die Bewegung begann sofort wieder, und die bereits stark gebogene Stelle fuhr fort sich zu biegen, bis sie einen vollkommenen Kreis bildete; dabei gieng der entferntere gerade Theil des Tentakels an der einen Seite des Streifens hin. Die convexe Oberfläche musz sich daher vorher in einem Spannungszustande befunden haben, welcher hinreichend stark war, dem der concaven Oberfläche das Gegengewicht zu halten, welche, als sie frei wurde, sich zu einem vollständigen Ring aufrollte.

Die Tentakeln eines ausgebreiteten und nicht gereizten Blattes sind mäszig steif und elastisch; wenn sie mit einer Nadel gebogen werden, so gibt das obere Ende leichter nach als der basale und dickere Theil, welcher allein fähig ist, eingebogen zu werden. Die Rigidität dieses basalen Theiles scheint eine Folge der Spannung der äuszeren Oberfläche zu sein, welche einem Zustande der activen und beständigen Contraction der Zellen der inneren Oberfläche das Gleichgewicht hält. Dasz dies der Fall ist, glaube ich deshalb, weil, wenn ein Blatt in kochendes Wasser getaucht wird, die Tentakeln plötzlich zurückgebogen werden; dies weist allem Anscheine nach darauf hin, dasz die Spannung der äuszeren Oberfläche mechanisch ist, während die der inneren Fläche lebendig ist und durch das kochende Wasser augenblicklich zerstört wird. Wir können hiernach auch verstehen, warum die Tentakeln, wenn sie alt und schwach werden, langsam stark zurückgebogen werden. Wenn ein Blatt mit dicht eingebogenen Tentakeln in kochendes Wasser getaucht wird, so erheben sich die Tentakeln ein wenig, aber breiten sich durchaus nicht vollständig aus. Dies mag eine Folge davon sein, dasz die Hitze die Spannung und Elasticität der Zellen der convexen Oberfläche schnell zerstört; ich kann aber kaum glauben, dasz ihre Spannung zu irgend einer Zeit hinreichen würde, die Tentakeln, oft sogar durch einen Winkel von über 180° in ihre ursprüngliche Stellung zurückzuführen. Wahrscheinlicher

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Charles Darwin: Insectenfressende Pflanzen. Stuttgart 1876, Seite 236. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Darwin_Insectenfressende_Pflanzen_236.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)