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die Geschichte der organischen Welt eingegriffen habe. Auch führt Natürliche Züchtung zur Divergenz des Charakters; denn je mehr Wesen auf einer gegebenen Fläche ihren Unterhalt finden, desto mehr ändern sie in Organisation, organischer Thätgkeit und Lebensweise ab, wovon man die Beweise bei Betrachtung der Bewohner eines kleinen Land-Flecks oder der naturalisirten Erzeugnisse finden kann. Je mehr daher während der Umänderung der Nachkommen einer Art und während des beständigen Kampfes aller Arten um Vermehrung ihrer Individuen jene Nachkommen differenzirt werden, desto besser ist ihre Aussicht auf Erfolg im Ringen um’s Daseyn. Auf diese Weise streben die kleinen Verschiedenheiten zwischen den Varietäten einer Spezies stets grösser zu werden, bis sie den grösseren Verschiedenheiten zwischen den Arten einer Sippe oder selbst zwischen verschiedenen Sippen gleich kommen.

     Wir haben gesehen, dass es die gemeinen, die weit verbreiteten und allerwärts zerstreuten Arten grosser Sippen sind, die am meisten abändern, und diese streben auf ihre abgeänderten Nachkommen dieselbe Überlegenheit zu vererben, welche sie jetzt in ihrer Heimath-Gegend zur herrschenden machen. Natürliche Züchtung führt, wie so eben bemerkt worden, zur Divergenz des Charakters und zu starker Austilgung der minder vollkommnen und der mitteln Lebenformen. Aus diesen Prinzipien lassen sich nach meiner Meinung die Rang-Verschiedenheiten zahlloser organischer Wesen in jeder Klasse auf der ganzen Erd-Oberfläche sowohl als die in der Natur ihrer Verwandtschaften mit einander erklären. Es ist eine wirklich wunderbare Thatsache, obwohl wir das Wunder aus Vertrautheit damit zu übersehen pflegen, dass Thiere und Pflanzen zu allen Zeiten und überall so miteinander verwandt sind, dass sie in Untergruppen abgetheilte Gruppen bilden, so dass nämlich, wie wir allerwärts erkennen, Varietäten einer Art einander am nächsten stehen, dass Arten einer Sippe weniger und ungleiche Verwandtschaft zeigen und Untersippen und Sektionen bilden, dass Arten verschiedener Sippen einander noch weniger nahe stehen, und dass Sippen mit verschiedenen Verwandtschafts-Graden zu einander Unterfamilien, Familien, Ordnungen, Unterklassen

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 139. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_139.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)