Seite:De Entstehung der Arten 1860 (Darwin) 222.jpg

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     Es sollten wohl möglich viele Beispiele angeführt werden, um zu zeigen, wie im Natur-Zustande ein gewisser Grad von Abänderung in den Instinkten und die Erblichkeit solcher Abänderungen zur Thätigkeit der Natürlichen Züchtung unerlässlich ist; aber Mangel an Raum hindert mich es zu thun. Ich kann bloss versichern, dass Instinkte gewiss variiren, wie z. B. der Wander-Instinkt nach Ausdehnung und Richtung variiren oder auch ganz aufhören kann. So ist es mit den Nestern der Vögel, welche theils je nach der dafür gewählten Stelle, nach den Natur- und Wärme-Verhältnissen der bewohnten Gegend, aber auch oft aus ganz unbekannten Ursachen abändern. So hat Audubon einige sehr merkwürdige Fälle von Verschiedenheiten in den Nestern derselben Vogel-Arten, je nachdem sie im Norden oder im Süden der Vereinten Staaten leben, mitgetheilt. Furcht vor irgend einem besondren Feinde ist gewiss eine instinktive Eigenschaft, wie man bei den noch im Neste sitzenden Vögeln zu erkennen Gelegenheit hat, obwoh sie durch Erfahrung und durch die Wahrnehmung von Furcht vor demselben Feinde bei anderen Thieren noch verstärkt wird. Thiere auf abgelegenen kleinen Eilanden fürchten sich nicht vor den Menschen und lernen, wie ich anderwärts gezeigt habe, ihn nur langsam fürchten; und so nehmen wir auch in England selbst wahr, dass die grossen Vögel, weil sie von Menschen mehr verfolgt werden, sich viel mehr vor ihm fürchten, als die kleinen. Wir können die stärkere Scheuheit grosser Vögel getrost dieser Ursache zuschreiben, denn auf von Menschen unbewohnten Inseln sind die grossen nicht scheuer als die kleinen; und die Elster, so furchtsam in England, ist in Norwegen eben so zahm als die Krähe (Corvus cornix) in Ägypten.

     Dass die Gemüthsart der Individuen einer Spezies im Allgemeinen, auch wenn sie in der freien Natur geboren sind, äusserst manchfaltig seye, kann mit vielen Thatsachen belegt werden. Auch liessen sich bei einigen Arten Beispiele von zufälligen und fremdartigen Gewohnheiten anführen, die, wenn sie der Art nützlich wären, durch Natürliche Züchtung zu ganz neuen Instinkten Veranlassung werden könnten. Ich weiss wohl, dass diese allgemeinen Behauptungen, ohne einzelne Thatsachen zum

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 222. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_222.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)