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Sie verräth diese gemeinsame Abstammung, wie sehr auch die Organisation des Alten abgeändert und verhüllt worden seyn mag; denn wir haben gesehen, dass die Cirripeden z. B. an ihren Larven sogleich als zur grossen Klasse der Kruster gehörig erkannt werden können. Da der Embryo-Zustand einer jeden Art und jeden Arten-Gruppe uns theilweise den Bau ihrer alten noch wenig modifizirten Stamm-Formen überliefert, so ergibt sich auch deutlich, warum alte und erloschene Lebenformen den Embryonen ihrer Nachkommen, unsren heutigen Sippen nämlich, gleichen. Agassiz hält Diess für ein Natur-Gesetz; ich bin aber zu bekennen genöthigt, dass ich erst später das Gesetz noch bestätigt zu sehen hoffe. Denn es lässt sich nur in den Fällen allein beweisen, wo der alte, angeblich in den jetzigen Embryonen vertretene Zustand in dem langen Verlaufe andauernder Modifikation weder durch successive in einem frühen Lebens-Alter erfolgte Abänderungen noch durch Vererbung der Abweichungen auf ein früheres Lebens-Alter, als worin sie ursprünglich aufgetreten sind, verwischt worden ist. Auch ist zu erwägen, dass das angebliche Gesetz der Ähnlichkeit alter Lebenformen mit den Embryo-Ständen der neuen ganz wahr seyn und doch, weil sich der geologische Schöpfungs-Bericht nicht weit genug rückwärts erstreckt, noch auf lange hinaus oder für immer unbeweisbar bleiben kann.

     So scheinen sich mir die Haupterscheinungen in der Embryologie, welche an naturgeschichtlicher Wichtigkeit keinen andern nachstehen, aus dem Prinzip zu erklären: dass geringe Modifikationen in der langen Reihe von Nachkommen eines alten Stammvaters, wenn auch vielleicht in der frühesten Lebens-Zeit eines jeden veranlasst, doch keinesweges in sehr frühem Alter weiter vererbt worden sind. Die Embryologie gewinnt sehr an Interesse, wenn wir uns den Embryo als ein mehr oder weniger vererbliches Bild der gemeinsamen Stamm-Form einer jeden grossen Thier-Klasse vorstellen.

     Rudimentäre, atrophische und abortive Organe.) Organe oder Theile, in diesem eigenthümlichen Zustande den Stempel der Nutzlosigkeit tragend, sind in der Natur äusserst gewöhlich.

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Charles Darwin: Entstehung der Arten. Stuttgart 1860, Seite 453. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Entstehung_der_Arten_1860_(Darwin)_453.jpg&oldid=- (Version vom 17.8.2016)