Seite:De Geschichtsauffassung 019.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Anders wird dies erst, als nun die Humanisten auf den Boden wirklicher Staaten treten. In dem modernsten Staate Italiens vollzieht sich der nächste Fortschritt des Humanismus, zugleich der nächste der humanistischen Geschichtschreibung. Er wird bezeichnet durch die Florentiner Geschichte des Staatskanzlers Lionardo Bruni.[1]

Geht man an die Lektüre seines Buchs von Giovanni Villani kommend, so ist es, wie wenn man in Venedig von der dämmerigen Pracht San Marcos sich zu Palladios kalter Redentore wendet. Nichts von all den tausend entzückenden Kleinigkeiten, die dieses Bilderbuch der Florentiner Vergangenheit berühmt gemacht haben, keine Beschreibung des Caroccio oder der Martinellaglocke, von Prozessionen oder Fürsteneinzügen, Trachten oder Lebensgewohnheiten: wenn Bruni einmal sagen muß, daß der unglückliche Buondelmonte, von dessen Ermordung die Florentiner ihre jahrhundertelangen Geschlechterkämpfe datieren, in weißem Gewande auf einem weißen Roß durch die Stadt geritten sei, fügt er halb schüchtern, halb verächtlich sein: „so sagt man“ bei.

Hat Bruni nun nichts für diesen Mangel zu bieten? Wir werden das erkennen, wenn wir gleich sein erstes Buch mit dem des Villani vergleichen. Auch zu etwas anderem soll der Vergleich dienen. Nicht leicht irgendwo sonst sieht man so gut, daß es ein anderes ist, die antiken Autoren zu kennen, ein anderes, sie humanistisch zu benutzen. Denn Villani kennt Cicero, Livius und Sallust. Er ist vielleicht der erste, der gefunden hat, daß das Bellum Catilinare mit seinen Katastrophenszenen von Pistoria in eine Florentiner Stadtchronik gehöre. Aber das ist für Villani eine Geschichte wie andre auch, sie dient ihm so gut und so schlecht zur Ergötzung der Hörer wie die vom babylonischen Turmbau, von König Atalante, dem Gründer von Fiesole, von Dardanus und Aeneas, von Radagais und „Totila“ der Gottesgeisel.

Dagegen nun Bruni: Er kennt außer Villanis Quellen kaum mehr als ein paar Cicerostellen[2], nach denen Florenz eine Gründung Sullanischer Veteranen ist, deren Einwohner durch die Begabungen Sullas so reich geworden sind, daß sie bald an Luxus der Baulichkeiten und Lebensführung mit Rom wetteifern und in Schulden geraten. Das aber wird sein Ausgangspunkt. So sind sie die rechten Genossen der catilinarischen Rotte, und erst die Niederlage von Pistoria weist sie auf die friedliche, bürgerliche Beschäftigung. Durch diese erstarkt die Stadt innerlich. Aber nach außen hin verschwindet sie

  1. [223] 11) Beste Würdigung bei Gaspary, Gesch. d. ital. Lit. II, 124ff. Ich benutze die Ausgabe Straßburg 1610, wo aber die Vorrede nicht steht, die ich deshalb der italienischen Übersetzung des Donato Acciauoli (Venedig 1476) entnehme. – Wann Bruni sein Werk geschrieben hat, scheint nicht genau festzustehen. Die Absicht besteht nach der Laudatio Florentinae urbis (ed. Klette, Beitrr. z. Gesch. u. Lit. d. italien. Gelehrtenrenaissance II, 34) schon 1401. Die Vorrede (Florenz mit Mailand und dem Reiche des Königs Ladislaus von Neapel der mächtigste Staat Italiens) weist auf die Zeit vor 1414, die Stelle S. 53 (Versöhnung durch den Kardinal Latino) ist 1420 geschrieben. Andere Daten führen dann bis zu Brunis Tode 1444, s. Voigt, Wiederbelebung I3, 310.
  2. [223] 12) Es kann kaum etwas anderes als 3. Catil. 6 gemeint sein, wo aber nur Fiesole als solche Kolonie erscheint. Dazu kennt Bruni die Stelle Plinius, Hist. natur. 111, 8, 3, wo man zu seiner Zeit Fluentini für Florentini las, und verwertet für die Charakteristik der Kolonisten vor allem 2. Catil. 9. Zur Tendenz Brunis auch die Kritik Vallas an der Laudatio bei Sabbadini, Cronologia . . . della Vita di Valla (Pubblicazioni del R. Istituto superiore di Firenze. Filosofia 1891. S. 75 ff.).