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beginnt der Aufgang der großen Kommunen, und diese bilden das Italien der neuen Zeit.[1] – Biondo kennt diese Ideen, er hat ihnen in seinem Geschichtswerk an bedeutsamer Stelle Aufnahme gewährt.[2] Aber ihre Durchführung erforderte ein eigenes Werk. Biondo hat auch dies unternommen: es ist sein zweites Hauptwerk, die Italia illustrata, ebenfalls eine Arbeit gründlichster Gelehrsamkeit. Sollte sie auch zunächst nur dem dienen, der die alten römischen Ortsbezeichnungen mit den modernen vergleichen wollte[3], so bot sie doch mehr. Die Stadtbeschreibungen mit ihrem Hinweis auf die Besonderheiten der Lage, ihrem geschichtlichen Abriß und ihrer Aufzählung der großen Männer, deren sich jede Stadt rühmen konnte, waren in einem Geiste gehalten. Sie räumten mit viel alten Fabeln auf und stellten die Modernen unmittelbar neben die Großen der Vorzeit.

Freilich, was man so gewonnen hatte, war nicht mehr als der geographische Begriff Italien. Vielleicht hätte aber auch ein andrer, der weltlicher und moderner dachte als Biondo, damals nicht weiter kommen können. Erst die Generation, die den Siegeszug des „neuen Cyrus“, Karls VIII. von Frankreich, entsetzt miterlebte, hat begonnen, sich Italien auch politisch als eine Einheit gegen die „Barbaren“ zu denken, sei es auf den Wegen Julius II., der das Papsttum zum Mittelpunkt der nationalen Bestrebungen machen wollte, sei es auf denen Macchiavellis, der eben in diesem Papsttum das erste Hindernis aller nationalen Einigung erkannte.

Einen Vorläufer hat diese letzte Ansicht zu Zeiten Biondos in Lorenzo Valla gehabt.[4]

Wir haben hier nicht von dem arbiter elegantiarum des lateinischen Stils zu reden, auch nicht von dem kecken Revolutionär, der unter dem Banner des Hedonismus die mönchische Sittlichkeit in ihrer Wurzel angriff, selbst seine Geschichte Ferdinands von Aragon dürfen wir trotz ihres interessanten Vorworts übergehen, aber das Schriftchen über die konstantinische Schenkung verdient ein paar Worte.[5]

Seit die Päpste begonnen hatten, sich dieses gefälschten Dokuments zu bedienen, war der Kampf dagegen nie erstorben.[6] Aber durch drei Jahrhunderte bleibt er – mit einer wenig beachteten Ausnahme – ein Kampf der Juristen mit juristischen Waffen. Man tritt auf den Rechtsboden des Gegners, aber man bestreitet seine Folgerungen. Da kommt der Humanismus, und es wird anders. Auf dem Basler Konzil schreibt 1433 ein grübelnder Deutscher, dem die Zusammenhänge

  1. [225] 32) Historiae Florentinae I: Crescere tamen civitatis potentiam ac maiorem in modum attolli Romanae magnitudinis vicinitas prohibebat. Ut enim ingentes arbores novellis plantis iuxta surgentibus officere solent, nec ut altius crescant, permittere, sic Romanae urbis moles sua magnitudine vicinitatem premens nullam Italiae civitatem maiorem in modum crescere patiebatur. Quinimo et quae ante fuerunt magnae, ob eius urbis gravem nimium propinquitatem exhaustae [226] porro deminutaeque sunt. Quemadmodum enim tunc cresceret civitatis potentia? Neque sane fines augere bello poterat, sub imperio constituta, nec omnino bella exercere. Nec magistratus satis magnifici, quippe eorum iurisdictio intra breves limites claudebatur et haec ipsa Romanis magistratibus erat obnoxia. Mercaturae quoque, si quis forte eam partem ad incrementum civitatis attinere quicquam existimet, non alibi per id tempus quam Romae commodius exercebantur. Ibi frequentia hominum et venundandi facultas, eorum portus, eorum insulae, eorum portoria... Und dann beim Aussterben der Karolinger: Postquam igitur in Germaniam imperium abiit ac pauci ex iis in Italia statione continua, plurimi vero adventiciis, cum erat opus, exercitibus ad tempus morabantur, civitates Italiae paulatim ad libertatem respicere ac imperium verbo magis quam facto confiteri coeperunt Romamque ipsam et Romanum nomen veneratione potius antiquae potentiae quam praesenti metu recognoscere. Denique quotcunque ex variis barbarorum diluviis superfuerant urbes, per Italiam crescere atque florere et in pristinam auctoritatem sese in dies attollere. – Endlich bei der Entstehung der Parteien in Florenz: Una fautrix pontificum, imperatoribus adversa, altera imperatorio nomini omnino addicta. Sed ea, quam imperatoribus adversam supra ostendimus, ex his fere hominibus conflata erat, qui libertatem populorum magis complectebantur, Germanos autem, barbaros homines sub praetextu Romani nominis dominari Italis perindignum censebant.
  2. [226] 33) S. Dec. I lib. III Anfang, wo die erste der oben ausgehobenen Stellen z. T. wörtlich benutzt ist. In der Auffassung des Imperiums weicht Biondo naturgemäß von Bruni ab.
  3. [226] 34) S. dafür auch das merkwürdige Vorwort zur 3. Dekade des Geschichtswerks. – Über die Italia vgl. J. G. Hußlein, Flavio Biondo als Geograph des Frühhumanismus. Programm, Würzburg 1901.
  4. [226] 35) Das Beste über ihn immer noch bei Voigt I, 460 ff. Dort die ältere Literatur. Geistreich, aber überschwenglich und nicht ohne Irrtümer J. Caro i. d. Vorträgen u. Essays 48 ff. Eine gute biographische Übersicht bei W. Schwahn, Lorenzo Valla. Diss. Berlin 1896.
  5. [226] 36) Abdruck in den Opera, Basel 1540, S. 761 ff.; brauchbare Inhaltsangabe bei M. v. Wolff, Lorenzo Valla, s. Leben und s. Werke. Leipzig 1893.
  6. [226] 37) Der Streit um die Urkunde ist klar und eingehend dargestellt von Böhmer in Herzogs Realencyklopädie für prot. Theol. u. Kirche XI³, 1 ff.