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gehen wird. Da ist es nun bedeutsam, daß wenige Jahrzehnte nach Walters Tod ein Dominikanermönch im Elsaß dieses Deutschland „von Utrecht bis Freiburg im Üchtland und von Wien bis Lübeck“ als eine geographische Einheit erfaßt und darstellt.[1] Das ist also ein Deutschland im Rahmen der Sprachgrenzen, in die freilich der Schreiber in der Südwestecke des Reichs das neugewonnene ostelbische Kolonialland nur zum Teil mit einzieht.

Ausgefüllt hat er diesen Rahmen aber nicht. Was er an genauerer Beschreibung bietet, bezieht sich auf das Elsaß. Und auch so ist seine Aufzeichnung für lange eine Ausnahme. Der Trieb zum Reisen wächst, aber man beschreibt das heilige Land, die Fremde überhaupt, nicht die Heimat. Was Deutsche über Deutsche zu sagen haben, bleibt im Stile der Orts- und Stammesneckereien, höchstens daß wir einen Völker- und Sprachenspiegel, dann aber meist universeller Art, erhalten.[2] Eneas Büchlein macht hier Epoche.

Wenn der Kolmarer Mönch seine annalistischen Aufzeichnungen zu einer Beschreibung Deutschlands und des Elsasses unterbrach, so geschah das, weil er merkte, wie sehr sich die Welt im Lauf der Zeit verändert habe. Aber sein Blick reicht nicht sehr weit zurück, nur bis zum Anfang des Jahrhunderts, und wenn wir sein post hoc zu einem propter hoc machen dürfen, so kommen all die Fortschritte und Verbesserungen des Lebens, die er zu nennen weiß, doch eigentlich daher, daß die Dominikaner für alle Zweige der Wissenschaften so gar treffliche Kompendien geschrieben haben. – Von einer ähnlichen Erwägung geht Enea aus: er will gegen Martin Mayr zeigen, daß Deutschland nicht ärmer, sondern reicher geworden sei und das durch nichts andres als durch das Christentum, das ihm eben der angeklagte römische Stuhl gegeben habe. Aber wieviel höher ist nun der historische und geographische Gesichtspunkt des Humanisten! Er sieht zurück bis auf die Zeiten des Julius Cäsar, dessen Buch ihm nicht mehr das eines beliebigen Julius Celsus ist, wie so vielen mittelalterlichen Buchschreibern.[3] Hier findet er die erste beglaubigte Kunde über Deutschland. – Und neben Cäsar tauchen zwei andere ehrwürdige Namen auf, die jahrhundertelang geschlummert hatten, Strabo und Tacitus. Mag Enea auch die Kenntnis Strabos dem Biondo verdanken, dessen Versuch, im neuen Italien das alte zu finden, gewiß überhaupt für ihn vorbildlich war, mag er die Germania des Tacitus nur nach flüchtiger Lesung erwähnen[4], die Bedeutung dieser Quellen hat er erkannt. Sie trennen ihm die fabelhaften Zeiten „des Janus, Saturn und Juppiter“, ja auch noch die des „Romulus,


  1. [228] 68) M. G. SS. XVII, 237 ff. ed. Jaffé. Lorenz, Deutsche Geschichte II, 319 ff. hat die Bedeutung dieses Stückes zuerst erkannt. Daß der Mönch aber seine Beschreibung zu den alten Grenzen auf der von ihm gezeichneten Karte in Gegensatz bringe, kann ich nicht finden.
  2. [228] 69) Ein solcher z. B. bei Jansen Enikel (M. G. Dte. Chr. III, 533), wo Strauch auch weitere Literatur gibt.
  3. [228] 70) Teuffel, Gesch. d. röm. Lit. § 196, 2.
  4. [228] 71) Über die Auffindung der Germania durch Enoche von Ascoli s. jetzt Lehnerdt im Hermes XXXIII, 499 ff. (Für Enoche auch meinen Meisterlin 33 f.) Danach ist kein Zweifel, daß Enea einer der ersten war, welche die Hs. der Germania kennen lernten. Benutzt aber kann sie nur in folgender Stelle sein: Parum quidem ea tempestate a feritate brutorum maiorum tuorum vita distabat. Erant enim plerique pastores, silvarum incolae ac nemorum. Cuiusmodi vitam inertem ac pigerrimam esse Aristoteles auctor est. Nec munitae his urbes erant neque oppida muro cincta, non arces altis innixae montibus, non templa sectis structa lapidibus visebantur. Aberant hortorum ac villarum deliciae, nulla viridaria, nullae consitiones, nulla tempe, nulla vineta colebantur. Praebebant largos flumina potus, lacus et stagna inserviebant lavacris, et si quas natura calentes produxerat aquae. Parum apud eos argentum, rarius aurum, margaritarum incognitus usus. Nulla gemmarum pompa, nulla ex ostro vel [229] serico vestimenta. Nondum metallorum investigatae minerae. Nondum miseros in viscera terrae mortales truserat auri sitis. Laudanda haec et nostris anteferenda moribus. At in hoc vivendi ritu nulla fuit litterarum cognitio, nulla legum disciplina, nulla bonarum artium studia. Ipsa quoque religio barbara, inepta et, ut propriis utamur vocabulis, ferina ac brutalis. – Das könnte schließlich wohl auch nach irgendeiner Schilderung des goldenen Zeitalters gemacht sein. Bemerkenswert ist jedenfalls, daß Enea auch in der Europa (cap. 35) aus Tacitus nur die bekannte Anekdote von den Germanen im Theater des Nero erzählt, die in dem schon viel länger bekannten 2. Teil der Annalen steht. Er verwertet sie auch in der Germania.