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ein anderer Ordensgenosse Johannes de Columna mit seinem Mare Historiarum in besonderer Gunst. Recht merkwürdig nimmt sich in dieser Gesellschaft Bruni mit seiner Florentiner Geschichte aus. Wie wenig ihn Antonin verstand, zeigt der Umstand, daß er ihn aus Villani „ergänzt“ hat. Auch im übrigen ist die Aneinanderreihung der Exzerpte ebenso kunst- wie geschmacklos.

Verwunderlich ist nun aber doch, wie ein Mann, der den Pontifikat Nikolaus V. und Pius II. erlebte und neben sich im Paradies der Alberti und in dem Zirkel von San Spirito die Tuskulanischen Gespräche Ciceros hatte Wiederaufleben sehen, sich zum Altertum stellte. Nicht nur daß er im wesentlichen seine Aufgabe darin sah, die Zensuren, die Augustin in seinem Gottesstaat den blinden Heiden über ihre Irrtümer erteilt hatte, zu wiederholen[1], er läßt auch nicht mit einem Worte erkennen, daß er etwas von dem neubelebten Studium der Lateiner oder von den Übersetzungen des Herodot, Xenophon, Plutarch, Plato wußte, um die sich die Besten seiner Zeit und die Päpste selbst bemühten. Bei Homer bietet er eine abgeschmackte Anekdote aus Valerius Maximus, bei ihm sowenig wie bei den Tragikern auch nur eine Andeutung über ihre Werke. Er kennt den Livius, aber er zieht Orosius und Eutrop vor; er spricht von den Invektiven des Cicero und Sallust gegeneinander, aber er entnimmt sich daraus nur, daß beide eben in ihren Werken den rechten Geist nicht gehabt hätten[2], und wenn er nach dem Vorbild des Vinzenz nun doch aus den antiken Philosophen, Rednern und Historikern allerlei „Sentenzen“ ausschreibt, so versichert er ausdrücklich, daß sie alle der höllischen Verdammnis verfallen seien.[3] Das ist auch der Grund, warum er sich mit Dante sehr ernsthaft auseinandersetzt, der diesen Heiden eine Stelle in den „elyseischen Gefilden“ angewiesen hatte.[4]

Auch daß gerade in der Umgebung Antonins die Bestrebungen, die mittelalterliche Geschichte auf ihre Quellen zurückzuführen, so kräftig eingesetzt hatten, würde man nach der Weltchronik nicht ahnen. Seine Vorstellung von diesen Quellen geht nicht über „Vincentius secundum Sigisbertum oder Guilermum“ hinaus. Erwähnt er einmal eine Quelle wie Widukind[5], so bleibt das eine unverstandene Notiz. Bezweifelt er ein Faktum, so ist es, weil es nicht in all seinen Vorlagen steht. Seine Vorliebe für novellistische Züge ist mindestens die gleiche wie bei Vinzenz. Er sucht aus der Goldenen Legende des Jacobus de Voragine für die drei Ottonen noch eigens solche zusammen, und wenn ihm ja einmal eine solche Novelle wie die an Karl den Großen geknüpfte von Amelius und seinem Freunde historisch


  1. [239] 4) Z. B. Tit. IV, Kap. 1, § 26 Plato und Kap. 6, § 5 Cicero. Auch die von mir S. 83 herangezogene Stelle über Sokrates ist, wie ich nachträglich sehe, aus De civitate dei VIII, 3.
  2. [239] 5) Tit. IV, Kap. 6, § 6: Fuit contemporaneus Tullii Salustius nobilia civis Romanus et ipse eloquens, sed inimicus Ciceronis, unde invectivas contumeliosas contra se invicem scripserunt, quod est contra doctrinam Christianorum. Unde patet, quod omnis labor eorum erat in ore ipsorum ad ornate dicendum, non ad operandum, quae docebant... Et inter cetera hic erat error communis gentilium mundana sapientia splendentium. Ex[is]timabant enim suo libero arbitrio sine auxilio gratiae dei posse esse vere virtuosos, cum tamen dicat Augustinus: Ubi deest cognitio aeternae et incommutabilis veritatis, falsa est virtus etiam in optimis virtutibus.
  3. [239] 6) Tit. IV, Kap. 6, § 9 in fine.
  4. [239] 7) Tit. XXI, Kap. 5, § 2: Circa tempus illud floruit Dantes de Allegheriis Florentinus poeta insignis, qui edidit opus egregium, cui simile in vulgari non habetur eximiae scientiae et loquentiae materialis . . . Verum in hoc videtur errasse non parum, quod antiquos sapientes philosophos, poetas, rhetores infideles, ut Democritum, Pythagoram, Anaxagoram, Platonem, Socratem, Aristotilem, Homerum, Virgilium, Ciceronem et alios describit esse in campis Elysiis, ut etsi non in gloria, tamen sine pena existant. . . (Dante setzt sie übrigens in den Limbus, die Vorhölle). Die dann folgende Auseinandersetzung über Dantes Monarchia und Occam als Vertreter des gleichen Irrtums ist z. B. von Trithemius benutzt, s. o. S. 58. Über die Tradition, auf der die Zusammenstellung Dante-Occam beruht, s. Grauert in HPBII. CXX, 86. Über die Folgen (Ansetzung Dantes unter Ludwig den Baiern bei Aventin) ibid. 641.
  5. [239] 8) Tit. XII, Kap. 3, § 2.