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Auch die Betonung des geographischen Elements bei ihm ist modern-humanistisch. Antonin hatte auch in diesem Punkte nicht gezeigt, daß er in der Stadt Toskanellis lebte. Jakobus aber hat den übersetzten Strabo und vor allem die großen geographischen Werke Biondos mit Nutzen gelesen. Seine Beschreibungen von Mailand und Venedig können neben dem Vorbilde wohl bestehen.[1] Sie zeigen uns außerdem – wie das ganze Werk –, ein wie starker italienischer und speziell lombardischer Patriotismus in diesem Mönche lebte.

Und endlich hat sich Jakobus auch die Wertmaßstäbe der Renaissance zu eigen gemacht. Das zeigt schon seine Charakteristik des Catilina, wo er gerade die Worte des Sallust, die Antonin ausgelassen hatte, zum Ausgangspunkt nimmt.[2] Noch deutlicher aber das Buch von den berühmten Frauen, das er der Chronik folgen ließ.[3] Wort und Begriff der virago finden sich hier. Jakobus sagt ausdrücklich, daß er nicht nur die berühmten, sondern auch die berüchtigten Frauen schildern wolle, und so führt er uns von der Jungfrau Maria über Agrippina, Faustina, die Päpstin Johanna und die Jungfrau von Orleans bis zu Isota Nogarola und Cassandra Fedele. –

Wenn aber die Chronik bald so außerordentlichen, dem Autor selbst verwunderlichen Erfolg hatte, so ist der Hauptgrund doch der, daß sie, wie Jakobus selbst sah[4], ein „Neuigkeitsbuch“ par excellence war. Es ist nicht die geringste Merkwürdigkeit in dem Buche, wie es Jakobus fertig gebracht hat, in die Fülle der historischen Notizen noch da und dort charakteristisches Anekdotenbeiwerk einzufügen, und wenn die Leser des Vinzenz sich an der Geschichte von Barlaam und Josaphat ergötzten, so bot Jakobus den seinen als ebenso historischen, aber ganz modernen Stoff die sieneser Liebesnovelle des Enea Silvio von Euryalus und Lukretia in knappster Zusammenfassung.[5] Kritische Zweifel haben Jakobus hier sowenig beirrt, wie bei den zahlreichen Origines der Städte, Herrschergeschlechter und Stämme, die sich, meist mit Hilfe eines Trojanerstammbaumes, hier bis in die fabelhafteste Urzeit zurückverfolgt sahen. In Biondos Geiste hat er da nicht geschrieben, aber gewiß hat er damit besonders den Geschmack der großen Lesermasse getroffen. –

Mit der Genauigkeit der historischen Angaben des Jakobus steht es nun freilich nicht zum besten. Er sagt, daß Tarquinius Superbus nach Gabii zu Porsenna geflohen sei, und bemerkt von der Catilinarischen Verschwörung: de qua Salustius et Livius optime scripserunt. Er meint[6], der 1375 gestorbene Boccaccio habe ein Opus bellorum geschrieben, in dem man etwas über Sigismunds


  1. [240] 27) Jakobus bringt seine Städtebeschreibungen zumeist geschlossen an zwei Stellen: die Hauptmasse zu Beginn des 6. Buchs (Grund: er beginnt mit Mailand und das Buch nimmt seinen Anfang mit Brennus: „conditor noster maximus et excellentissimus rei bellicae ductor“) und einen Nachtrag solcher, die dort ex incuria scriptoris vergessen sind, am Schluß von Buch XIV. (Grund: er spricht von Bruni und Poggio und kommt damit auf Florenz, Siena, Perugia, Arezzo). In der Ausgabe von 1485 Brescia ist das dann geändert.
  2. [240] 28) Magna animi ac corporis vi, sed ingenio pravo.
  3. [241] 29) Ich benütze die Ausgabe Ferrara 1497 = Hain nr. 2813.
  4. [241] 30) Vorrede zu De mulieribus an Beatrix, die Gemahlin des Matthias Corvinus: Nescio, quo merito (nisi quod curiosiora admodum mortalibus placent) ab universis iam fere ingenti comparatum est affectu.
  5. [241] 31) T. II, f. 165. Doch muß es ein Buch unter diesem Titel gegeben haben, denn auch Cuspinian zitiert es und auch Trithemius kennt im Catalogus scriptorum ecclesiasticorum [Opp. ed. Freher I, 327] ein Opus De victoriis Sigismundi und eins De bellis imperatorum.
  6. [241] 32) T. II, f. 150b.