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sie in der Völkertafel Isidors von Sevilla gesondert standen[1] – und führt die Darstellung bis auf das Langobardenreich in Italien herab. „Ingressi sunt Italiam,“ sagt er, „eamque domitam in suam potestatem redegerunt, Italiae quoque nomen mutantes a se victoribus Longobardiam nominaverunt, nec solum regionis nomina sed et leges novas condentes mores ritusque Romanorum mutaverunt“.[2] Und er schließt mit folgenden Worten: „Omnes hae nationes, sive Galli, Britanni aut Itali sint, in potestatem et nomen victorum pervenere, Germanorum scilicet, permanentque usque in praesentem diem, tametsi postea victores ipsos in linguam suam moresque adeo traxerint, ut nulla peregrinae gentis signa permanserint excepto nomine, quo se, ut arbitrari licet, a Germanis aliquando victos fuisse meminerint.“

Das ist also Nauklers Patriotismus. Man sieht, wie er den Gedanken von der germanischen Urnation weiterdenkt, und wie er zugleich die Idee des germanischen Imperium mundi humanistisch-völkisch begründet, wenn er auch, wie andere Stellen zeigen, auf die mittelalterlich-juristische Begründung noch nicht verzichten mag.

An den kritischen Fragen, die dieser Zeitabschnitt bietet, ist er nicht vorbeigegangen. Vor allem möchte er eine Antwort darauf finden, wohin denn die alten germanischen Stammesnamen, die Strabo, Ptolemäus, Solinus und Tacitus bieten, gekommen seien, und wie sich die neuen der Franken, Schwaben usw. dazu verhielten. Wenn er hier trotz manch verständiger Bemerkung[3] zu keinem rechten Ende gekommen ist, so ist es, weil er den Begriff allmählicher Entwicklung nicht durchzudenken vermag. Auch bei ihm, wie bei Wimpfeling, kommen da Lieblingsideen ins Spiel, aber anderer Art. Die Germanen sich möglichst bald geistig kultiviert vorzustellen, liegt ihm fern, aber es widert ihn zu denken, daß Deutschland wirklich eine terra inculta gewesen sei. Höchstens zu dem Zugeständnis möchte er sich herbeilassen, daß hier das alte Sprichwort seine Wahrheit zeige: Saepe bona materia cessat sine artifice.[4]

Vielleicht das interessanteste Stück dieser Erörterung aber ist der Abschnitt über die prisci mores Germanorum. Wäre er nicht in der Disposition schon aufgeführt, wir würden ihn nach seiner Stellung im Ganzen für nachträglich angeflickt halten. Jedenfalls hat Naukler ihn bei seiner Erörterung über das cäsarische Germanien im ersten Band der Chronik noch nicht beabsichtigt gehabt. Hier aber bietet er nun eine erste Vereinigung der Nachrichten des Caesar und Tacitus über germanische Urzustände. Und es ist nicht eine bloße Anreihung, wie sie Raimondo Marliano in seinem Caesarindex für einzelne Stämme


  1. [244] 78) Isidor, Etymologiae XIV, 4,3: Post [Alaniam] Dacia, ubi et Gothia; deinde Germania.
  2. [244] 79) Vgl. Jacobus Bergomas, Supplementum II, 69. Der Vergleich mit dieser Stelle zeigt die sehr interessanten Änderungen, die Nauklerus aus patriotischen Gründen an dem Text des Jakobus vorgenommen hat.
  3. [244] 80) Methodisch am bemerkenswertesten ist der Exkurs über die Baiern II, 145b, wo er die Aufstellung recens nomen et circa 530 inventum gegen alle andern Erwägungen aufrecht erhält. Dagegen scheint die Gleichsetzung Meißner-Mysi f. 137 unter anderen verhängnisvoll auf Reuchlin gewirkt zu haben, s. dessen bei Geiger, Reuchlin 65 besprochene Schriften.
  4. [244] 81) f. 118. Die unmittelbar vorhergehende Stelle (Quod si hodie priscorum resurgeret aliquis . . .) verrät die auch sonst nachweisbare Kenntnis der Germania des Enea Silvio.