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gegeben hatte, sondern die Notizen sind nach sachlichen Rubriken geordnet; zu der Bemerkung des Tacitus über foenus et usurae ist die des Cäsar über latrocinia gestellt, zu der über die Trunksucht mit freilich durchsichtiger Tendenz das Cäsarische: vinum ad se importari non sinunt. Ja, bei den Bemerkungen über die Religion der Germanen sieht er die Verschiedenheit der Angaben beider Schriftsteller und sagt erklärend von Tacitus: posterius et copiosius regionem describens.

Man sieht, wie weit diese Erörterungen Nauklers über die bisherigen Darstellungen hinausführen. Aber vielleicht muß ihm der Ruhm, als erster so weit gelangt zu sein, bestritten werden. Denn das ganze Stück zeigt die auffallendsten Ähnlichkeiten mit einem andern Erzeugnis des Tübinger Humanistenkreises, mit der Rede, die Heinrich Bebel 1501 vor Kaiser Maximilian in Innsbruck hielt.[1]

Fast alle Punkte, die Naukler bespricht, finden sich auch hier, und da Bebel seine eigentliche Tendenz in seiner Rede noch nicht genug betont zu haben glaubte, so fügte er für den Druck noch einen besonderen Abschnitt an, der mit seiner Überschrift: Germani sunt indigenae sogleich wieder die Übereinstimmung mit Naukler zeigt.

Es ist von vornherein wahrscheinlich, daß Naukler dieses Schriftchen kannte; daß er es benützte, wird durch wörtliche Übereinstimmungen sichergestellt. Aber diese beziehen sich – bezeichnend genug – fast nur auf rednerische Wendungen, im übrigen sind beide Männer selbständig auf die Quellen zurückgegangen.

Das ist bemerkenswert. Es zeigt, daß es nicht nur Phrase war, wenn Bebel Naukler als den Patron seiner Studien rühmte, sondern daß auch ein innerer Zusammenhang in der Tätigkeit der beiden besteht. Um so lehrreicher sind die Unterschiede ihrer Auffassungen.

Bebel fühlt sich selbst in erster Linie als Dichter. Als solcher stellt er sich dem Gelehrten Naukler gegenüber.[2] Aber ein nicht geringer Teil seiner Schriften, sogar seiner Gedichte ist historischen Inhalts. Die meisten sind Flugschriften wie bei Wimpfeling. Wie dieser hat Bebel immer einen Gegner. Er bindet mit Gaguin, mit Lionardo Giustiniani, mit Biondo, mit Enea Silvio, besonders gern mit Jakob von Bergamo an. Auch die Ursache der Fehden ist eine ähnliche, wie so oft bei Wimpfeling: Verletzung seiner patriotischen, besonders seiner stammespatriotischen Gefühle. Aber in seiner Waffenkammer sieht es ganz anders aus als in der Wimpfelings. Er verfügt über eine sehr beachtenswerte Quellenkenntnis und erreicht darin Naukler, ja er übertrifft ihn sogar in etwas[3] Seine Ermahnung an die Schweizer von 1507 enthält vielleicht die vollständigste


  1. [244] 82) Ich zitiere nach dem ersten Druck von 1504, beschrieben bei Zapf, Bebel 141 ff. Ein Neudruck auch im Schardius Redivivus I, 95 ff.
  2. [244] 83) S. das Anm. 57 zitierte Gedicht. Über Bebel ist außer der alten nur bibliographisch brauchbaren Biographie von Zapf noch Geiger in ADB. II, 195 ff. zu vergleichen. Neues Material bei Horawitz, Analekten z. G. d. Humanismus in Schwaben [SBWA LXXX, 217 ff.]. Gute Bemerkungen, die aber nicht dem [245] Historiker gelten, bei K. Hagen, Deutschlands literarische und religiöse Verhältnisse I, 83 ff. Eine neue Biographie wäre sehr lohnend und wünschenswert.
  3. [245] 84) Besonders wichtig sind da die Zitate aus den noch ungedruckten und wenig verbreiteten Panegyrici latini in der Cohortatio Helvetiorum und die Erwähnung des Herodian in der Apologia contra Leonardum Giustinianum. Herodian war 1493 in der Übersetzung des Aurispa in Rom gedruckt. – Daß Bebel den Ligurinus vor dem Drucke kannte, zeigt das Zitat in: Qui autores legendi sint. Ich setze die Stelle, da sie die erste ausführlichere Erwähnung des Ligurinus bietet, her: Nullus apud Germanos ad nostra usque tempora repertus est, quod ego sciam, qui priscam eloquentiam sermonemque ex omni parte purum expresserit, nisi forsan mihi nondum visus quidam Christianus vel ut alii volunt Guntherus Alemannus, qui duodecim libris Federici I gesta complexus heroici carminia ardore, eloquio atque historica veritate, eloquio quoque non vulgari, sed erudito et diserto Lucanum ipsum effinxisse esseque aemulatum foelicissime praedicatur. Cuius dii dent ut aliquando opuscula in lucem prodeant.