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Großen, aber er hat eine Zeitlang die Kirche verfolgt, worin er nicht zu loben ist“. Bei Heinrich VI. werden seine Grausamkeiten in Sizilien nicht verschwiegen, und die Schlußworte über Friedrich II. sprechen nur von dem verlorenen Sohn der Kirche. Vollends wie Bebel den Beweis dafür zu versuchen, daß der Kreuzzug von 1228 eigentlich durch die Umtriebe des Papstes mißlungen sei, liegt Naukler gänzlich fern. Er bleibt in der Verteidigungsstellung. „Ceterum feruntur“, fügt er bei, „a plerisque plurima in Fridericum conficta crimina, quibus pietatem et religionem laesisse dicitur, quae quoniam inania bonis videri solent, consulto praeterimus. Quantum enim illud quod descripsimus dissidium duorum principum attulerit orbi christiano detrimentum, hodie etiam spectare licet.“

Lesen wir dann freilich daneben wieder Trithemius, so sehen wir, daß auch hier der Mönch noch mehr bei der Kirche steht, als der kirchlich gesinnte Kanonist, sei es auch nur darin, daß er von den Gegnern des Papsttums unbesehen das Schlechte, von den Päpsten das Gute annimmt, während Nauklerus hier wieder ersichtlich nach Unparteilichkeit strebt.[1]

Aber der Hauptunterschied zwischen Nauklerus und Trithemius liegt in der Art der Behandlung ihrer Quellen.

Trithemius folgt fast regelmäßig nur einer Quelle, er legt dem Leser nicht vor, was er etwa bei ihrer Auswahl erwogen hat. Nauklerus bietet in allen Fällen, die seinen persönlichen Anteil erregen, ein Gesamtbild des ihm bekannten Quellenstandes, und auch hier treten die Italiener auf die eine Seite, die Deutschen auf die andere, und wieder sind es zwei Quellen, die ihm als Berichte von Augenzeugen und Mithandelnden vom höchsten Werte sind, Otto von Freising und der Abt von Ursperg.[2] Auch hier fügt er sodann Aktenstücke ein, wie die Ausschreiben von Kaiser und Papst von 1239 und 1240. Einige hat er wohl der Briefsammlung des Petrus de Vineis entnommen, die er kennt[3], wenn er sie auch nicht zu rühmen weiß, wie Bebel. Vielleicht dürfen wir darin eine erfreuliche Nebenwirkung der Benutzung des Pseudoberosus erkennen, der ja die publici notarii als die einzig zuverlässige Geschichtsquelle erklärt hatte. Jedenfalls: der Bann der scholastischen Tradition ist durchbrochen; der Zwiespalt der Überlieferung ist aufgezeigt, wenn auch die Frage, wie er zu schlichten sei, der Zukunft überlassen bleibt. –

Jene Beschreibung Schwabens, die in die Aufzählung der staufischen Ruhmestaten ausläuft, mag uns auch noch zeigen, wie weit Naukler über Fabri[4] hinausgekommen ist. Auch wenn wir


  1. [247] 106) Vgl. z. B. die leisen Änderungen, die beide (Trithemius I, 587) an dem Urteil des Enea Silvio über Friedrich II. vornehmen, und das Urteil beider über Hadrian IV: Nauclerus II, 189b, nachdem er aus Burckard v. Ursperg die Conspiration Hadrians gegen Friedrich I. erzählt hat: Et Joannes Flasboriensis [d. i. Johann von Salisbury] aliique multam de Adriano referunt honestatem et praesertim hic Johannes asserat se audivisse Adrianum dixisse, quod Romano pontifice nemo sit miserabilior et quod confessus sit in illa sede tantas miserias invenisse, ut facta collatione praesentium tota praeteritae vitae amaritudo iucunditas et foelicitas ei fuerit, intulisseque, quod ambire summum pontificatum et non sine fraterno sanguine ad illum ascendere est Romulo succedere in parricidiis, non Petro in ovibus pascendis. Haec et alia ambiguum me reddunt, quid potius eligendum quidve credendum sit. Scribimus enim res gestas affectu nonnunquam plus quam veritatis amore ductum. Verum hoc unum adiicimus, Adrianum virum fuisse integrum, ecclesiae res et patrimonium ampliasse et multa bona fecisse. Dazu Trithemius, Annales Hirsaugienses I, 428.
  2. [247] 107) Die Hauptstellen sind für Otto von Freising II, 188b: (Reichstag auf den Ronkalischen Feldern 1158) Scribit Frisingensis, qui tunc praesens esse [248] potuit (vgl. 151b u. 193); für Burckard von Ursperg II, 204b: (Thronstreit zwischen Otto IV. und Philipp) Sed quia invenio quosdam longe aliter rem gestam narrare et praesertim abbatem Urspringensem in sua chronica, qui eo tempore vivens plerisque negotiis praesens fuit, ut nihil eorum, quae circa hoc scribuntur, obmittam, faciam eum per se loquentem in re non parum odiosa.
  3. [248] 108) Weiland in HZ. XXXIV, 425. Vgl. Chronicon II, 220: Petrus Vinensis, suarum magister epistularum magna facundia vir.
  4. [248] 109) Er dürfte ihn gekannt haben, da die Schilderung der Bevölkerung (II, 229): gens populosa, fortis, audax et bellicosa, procero corpore, flavo crine, venusta, facie et decora wörtlich bei Fabri steht. Dann aber enthalten die Worte am Anfang: De Suevia et Suevorum moribus ... quod invenire potui, in unum redegi, ad quod neminem adhuc animum adiecisse comperi, eine Kritik Fabris. Vgl. über das ganze Stück E. Schmidt, Deutsche Volkskunde im Zeitalter des Humanismus 43 ff.