Seite:De Geschichtsauffassung 115.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

scheiden.[1] Beatus Rhenanus erkennt, daß die Ursperger Chronik, wie sie 1515 gedruckt wurde, eine Kompilation sein muß, und Cuspinian scheidet, als er den Mathias von Neuenburg zum Druck vorbereitet, die älteren Partieen aus, weil man das alles schon bei Eusebius, Orosius, Martinus Polonus, Gottfried von Viterbo und anderswo lesen könne.[2] – Es ist der Weg, auf dem man zu einer Vorstellung von einem Quellenstammbaum gelangen konnte. Cuspinian und Rhenanus sind ihr nahe gekommen.

Einen Autor sucht man auch für die großen anonymen Annalenwerke des Mittelalters, soweit sie damals in den Quellenkreis gelangen. Die Altaicher Annalen, die Aventin 1517 aus St. Emmeran hervorzieht, müssen entweder ein Werk des Mönchs Walker oder des Abts Wenzel sein.[3] Den Monachus Sangallensis hat Wolfgang Lazius mit dem Werinbert gleichsetzen wollen, dem Gewährsmann des Mönchs für sein erstes Buch. Man sieht, woher die mancherlei trügerischen Büchertitel stammen, mit denen der Humanismus die Nachwelt geäfft hat.

Andere Trugbilder haben die Humanisten sich selbst geschaffen. Wie schon Biondo aus dem Jordanes sich einen Ablavius konstruiert und als selbständige Quelle zitiert hatte, so hat es Aventin mit dem Schotten David gemacht, den er als Augenzeugen für Heinrichs V. Romzug aus Ekkehard kannte. – Es entspricht dieser Geistesrichtung, wenn anderseits Werke ganz unpersönlichen Charakters, wie vor allem die Annalen der sächsischen und salischen Zeit, auffallend lange unbenutzt blieben.


Aber das Bild dieser Tätigkeit wäre unvollständig, wollte man nicht auch die Bemühungen um die römischen Quellen für deutsche Geschichte heranziehen.

Den Übergang mag die Formelsammlung des Cassiodor bilden. Wieviele Deutsche mochten wohl schon in Bologna das Corpus iuris Justinians studiert haben, ohne daß einer sich über die Persönlichkeit dieses Kaisers Gedanken gemacht hatte. Aber Johann Cochläus, der Studiengenosse Huttens, wird durch solche Gedanken zu historischer Betrachtung Justinians und damit auf Prokops Gotenkrieg geführt. Dort findet er vieles, was ihm Sympathien für die Ostgoten einflößt, und diese wachsen, als er in Rom die vollständige Sammlung der Varia des Cassiodor findet. Wir sahen, daß Dalberg schon auf ein Stück davon gestoßen war. Er hatte den Fund mit verständigen kritischen Bemerkungen begleitet, dann aber wohl liegen


  1. [251] 45) Peutinger an Hieronymus Nogarola, Augsburg 1516 febr. 28 [vor der Ausgabe des Jordanes und Paulus Diaconus]: Sunt et nobis in manibus Eutropii historiae Romanae libri XII, cui alias impresso eiusdem Pauli additiones (ita enim inscribunt) falso subiunctae deprehenduntur. Dazu folgende Bemerkung Peutingers in seinem Exemplar der Scriptores historiae Augustae ex recognitione D. Erasmi [Basel, Froben 1518. Augsb. Stadtbibliothek. Geschenk Frobens an Peutinger] zu dem mit abgedruckten Eutrop, dessen liber XII dem Paulus Diaconus zugewiesen ist: Eutropius, qui manuscriptus in monasterio Tegerensi habetur, Paulum Diaconum non refert, sed hic liber inscriptus est XII Eutropii, quem admodam et nos denuo exscribi fecimus ac in bibliotheca nostra habemus sine Pauli additamentis. Über den wahren Sachverhalt s. Potthast, Bibliotheca II2, 902. Der Tegernseensis scheint verloren.
  2. [251] 46) Für Cuspinians Ausgabe des Matthias v. Neuenburg s. Studer, Matthiae Neoburgensis Chronicon xviff. – Interessant ist auch der Brief Hermanus v. Neuenar an Pirckheimer [Heumann, Documenta literaria 91 f.] über seine Absichten bei einer Ausgabe des Frechulf.
  3. [251] 47) S. Riezlers Nachwort zu Aventins Annalen [WW. III, 549].