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Wie sie geworden wäre, zeigt vor allem der Briefwechsel mit dem getreuen Huttich. Er läßt ihn Urkunden und Bildnisse der deutschen Kaiser suchen, befragt ihn über unverständliche Ausdrücke in den alten deutschen Rechtsbüchern, deren Studium ihn bis zum Sachsenspiegel hinabführt.[1] Er benutzt diesen als Zeugnis für den „deutschen Adel“, vielleicht hat er sich etwas über den Heerschild daraus notiert.[2] Sicherlich steht er den Bestrebungen ganz nahe, die damals auf ein Corpus iuris germanici gingen, die Grundlage für eine deutsche Rechtsgeschichte. Daß daneben die alten Interessen in ihm nicht erloschen waren, zeigen andere Briefe: mit Tschudi korrespondiert er über die Lentienses, mit Hubert Leodius über den Taunus, ein langer Brief über die Altertumsfunde von Argentaria zeigt ihn 1543 noch ganz in den alten Theorien von dem Verhältnis römischer und germanischer Herrschaft.[3] Auch die etwas naiven Erkundigungen des greisen Paul Volz, des Exabts von Hugshofen, führen da und dort auf historisch Wichtiges.[4]

Dies alles sollte einer neuen Ausgabe zugute kommen, die sicher eine verbesserte, wahrscheinlich auch eine vermehrte geworden wäre. Sie ist schon 1536, dann wieder 1542 geplant[5], aber bei Lebzeiten des Rhenanus nicht mehr zustande gekommen[6], so wenig wie die deutsche Übersetzung, zu der sich schon 1539 Johann Herold erbot.[7] Die Rerum germanicarum libri III sind das einzige historische Werk des Rhenanus und zugleich ein Torso geblieben.

Es gibt kein Geschichtswerk des deutschen Humanismus, bei dem dies mehr zu bedauern wäre. Denn hier waren wirklich die Grundlagen für eine deutsche Geschichte gelegt. Die zwei Grundsätze, die Rhenanus im Tacituskommentar von 1519 aufgestellt hatte, daß ein Verständnis des deutschen Altertums auszugehen habe von einer scharfen räumlichen Unterscheidung der Germania prisca und der Germania recentior und daß jedes Schriftstellerzeugnis mit Rücksicht auf die Zeit seines Autors zu würdigen sei, haben sich fruchtbar erwiesen, vielleicht über die Erwartung des Rhenanus hinaus. Der erste hilft ihm die Fabel von der Varusschlacht bei Augsburg widerlegen, er löst ihm die Streitfrage über die römische Rheingrenze so gut wie über die Stammeszugehörigkeit der Goten und führt ihn zur Erkenntnis der Bedeutung geographischer und statistischer Hilfsmittel, wie sie das Itinerarium Antonini, die Peutingersche Tafel, die Notitia dignitatum waren. Der zweite ermöglicht ihm in dem großen Ereignis der Völkerwanderung Abschnitte zu schaffen und


  1. [261] 144) Bfwechsel S. 435, 488; dazu 477, 509.
  2. [261] 145) l. c. 491: Incideram paulo ante in librum iuris provincialis Germanice scriptum, ex quo haud pauca de nobilitate nostrorum hominum adieci schemate addito . . .
  3. [261] 146) Bfwechsel 433 ff., 496 ff.
  4. [261] 147) Bfwechsel 476 Diskussion über das Lügenfeld.
  5. [261] 148) Bfwechsel 435 schreibt Huttich: si aliam moliris editionem . . . 487 [262] Volz: Tuam Germaniam, quam denuo sis editurus, cum primis videre et legere gestio.
  6. [262] 149) Über die späteren Ausgaben s. den Index bibliographicus hinter dem Briefwechsel S. 612 f. Danach hat erst Johann Sturm 1551 eine zweite Ausgabe besorgt.
  7. [262] 150) Bfwechsel 458: Exhibuit nobis paucis elapsis diebus Martinus Cellarius . . . tuos . . . Rerum Germanicarum libri tres, admonens, si quid in Germanicae linguae palaestra possem, periculum facere velim transferendis iis bene mereri de patria, omnibus rem exoptatissimam me facturum esse. Forte fortuna adest etiam vir ille integerrimus Balthasar Lasius typographus, qui etiam tibi susceptionis cognatione astrictus urget, orat, denique increpat. – Von der deutschen Übersetzung Herolds ist nichts bekannt geworden, doch scheint er noch eine Zeitlang in des Rhenanus Spuren gegangen zu sein. Er hat 1557 die deutschen Volksrechte ausführlicher als Sichard herausgegeben (s. Stobbe, Rechtsquellen I, 10) und sich dann auch mit den Resten römischen Altertums in Süddeutschland beschäftigt. Seine zwei Inschriftenpublikationen aber (De Germaniae veteris . . . locis antiquissimis und De Romanorum in Rhetia littorali stationibus Basel 1555, die zweite auch im Schardius redivivus I, 307), sind ebenso berüchtigt durch die Willkür seiner Textwiedergabe wie durch seine grotesken Etymologien (s. darüber CIL XIII, II, 187, 227, 238, 240). Auch hier aber spricht er immer wieder von einem Plan Commentaria efflorescentis Germaniae zu schreiben. Daraus ist glücklicherweise nichts geworden (über die Gründe s. sein Vorwort zur Legesausgabe). Dagegen gibt es von ihm eine Tabula historica, dann einen Dialog über den Türkenkrieg von 1556 (Schard l. c. II, 585; in der Vorrede allerlei Interessantes über das Leben Herolds) und einen dicken Folianten u. d. Titel Heydenweldt (Basel, Henrik Petri 1554), eine dem Augsburger Georg von Stetten gewidmete Bearbeitung des Dionys von Halikarnaß mit Anhängen, in der u. a. die Versuche, Homer in deutsche Reimverse zu übersetzen, Beachtung verdienen. Unter den benutzten Autoren, die Herold in einer langen Tafel zusammenstellt, kommt zwar Beatus Rhenanus vor, es ist aber nicht einzusehen, wo er benutzt sein könnte. Über andre Werke dieses Vielschreibers s. Ersch und Gruber II, 6, 404 ff. Über seine Ausgabe von Lupold v. Bebenburgs Tractatus Herm. Meyer, Lupold v. Bebenburg 92 f., über seine Übersetzung von Dantes Monarchia s. Grauert in HPBII. CXX, 647.