Seite:De Geschichtsauffassung 180.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

besser fort. Aber Bebel hatte noch an der „gotischen Barbarei“ festgehalten und war von der Herrlichkeit des reinen Lateins überzeugt, er gestand auch seinen Deutschen das Recht nicht zu, etwas an der römischen Sprache zu ändern[1], Irenikus weiß davon nichts. Ihm sind die Goten, wie Pirckheimer geschrieben hatte, die wahren Germanen und somit die echten Erben des Römerreichs. Er ist der erste, der die Stelle des Orosius bedeutsam findet, daß Athaulf an Stelle der alten Romania eine Gothia habe setzen wollen, und es ist sehr bemerkenswert, wie er Stilicho verwirft und Theoderich herabdrückt, weil sie in römischem Dienst gestanden sind, dagegen Odoaker erhebt.[2]

Irenikus hat in der Schlußrede seines Werkes auch allerlei Bemerkungen über das Verhältnis von Geschichte und Geographie angestellt. Eine solche Diskussion war damals nicht selten, Raphael von Volaterra und Vadian wußten Interessantes darüber zu sagen. Die Ausführungen des Irenikus stehen nicht so hoch; soweit man seine nicht ganz klaren Worte verstehen kann, hält er die Geographie nur dann für eine rechte Wissenschaft, wenn sie nicht nur nackte Beobachtungen bietet, sondern auch moralische Betrachtungen zuläßt. Das soll nach dem Zusammenhange zunächst rechtfertigen, daß er, der nicht wie Celtis Deutschland durchwandert hatte, doch an seine Aufgabe gegangen ist, sodann aber auch, daß er in diesem Werke den geographischen Erörterungen einen bedeutenden Raum, die ganze zweite Hälfte eingeräumt hat.

Aber trotz seiner Definition der wahren Geographie geht Irenikus nicht, wie man erwarten müßte, in den Spuren Strabos, auch nicht in denen des Enea Silvio. Er hat seine Hauptanregungen von der Nürnberger Geographenschule empfangen – Johann Schöner ist ihm der antesignanus mathematicorum, Johann Virdung von Haßfurt hat ihn am meisten belehrt – und er fußt wie diese auf dem Ptolemäus.[3] Die Ausgabe des Nicolaus Donis, die er mit hohem Lobe erwähnt, hat ihm die Grundlage seiner eigenen Arbeiten geboten[4], und diese Arbeiten beziehen sich, wie es bei den Ptolemäusbearbeitungen üblich war, vor allem auf zwei Punkte, auf die Festlegung der antiken Nomenklatur und auf die Berichtigung des Kartenbildes durch die neuen Entdeckungen.

Liest man freilich sein Vorwort zum neunten Buche, so sollte man glauben, daß er die Gebrechlichkeit dieser Grundlage erkannt habe und lieber eine Germania nova ohne die Auflösung der Rätsel des Ptolemäus bieten möchte.[5] Aber dazu ist niemand weniger


  1. [281] 103) In der Apologia contra Leonhartum Iustinianum Venetum [vgl. oben IV, Anm. 11]: Germanis ego quoque nullam aut concedo aut concedendam esse puto latinitatis locupletandae vel mutandae auctoritatem.
  2. [281] 104) Exegesis VI, 14: Haec facta memoriae digna Stilico perpetravit, quare non minor, si a Claudiano illo ad adulandum nato adeo extollitur. Meritur hic adoream Romanorum ducum longe maximam, si nobis cum perfidia res erit. – VI, 18: Id honoris Odoacri Theodericus Ostrogotthorum rex iniquo ferens animo a Zenone inductus est ad expellendum Odoacrum ab Italia.
  3. [281] 105) Exegesis VIII, 15; vgl. X, 10: Inter primipilares Io. Schoner mathematicus Bambergensis sacer et mirabilis videbatur. Erant et alii boni, his ut doctrina, ita sana traditione in nullo posteriores, quos oculis nostris Io. Virdung Hasfurdensis subiecit, vir cordatus et cui non vulgarem experientiam rerum usus, longa peregrinatio ac aetas concessit. – Er spricht dann von Johann Schöners jüngst [d. h. 1515] erschienenem Werke [der Luculentissima terrae descriptio] und sagt davon wie oben Anm. 97 von Wimpfelings Epitome: Hunc solum nostro operi coniunge et coniunctissimum dices.
  4. [281] 106) Exegesis IX, 5: Inter plures Ptolemaei enarratores calculum unus penes me reperit, qui alioquin ἀνώνυμος quadam festivitate operam suam non sine laude posteris participavit. – Das ist, wie die folgenden Angaben zeigen, Nikolaus Donis, dessen Register zu diesem Kapitel zu vergleichen ist. Irenikus kennt übrigens auch die Ptolemäusausgabe von Waldseemüller-Philesius s. Exegesis VIII, 35. Ein Zitat aus der Germania des Cochläus ibid. IX, 19.
  5. [281] 107) Hic mihi igitur videtur cordatus esse et hominis captum excessisse, quicunque superstitiosum Ptolemei nucleum fregerit eiusque nomina, praesertim civitatibus Germanicis imposita nostri seculi tenori restituerit, quod tam facile est, quam integrum aliquem illius gallinatii haustorem reperire.