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hatte ihn verfaßt und Münster bewogen, seine eigenen Ausführungen, die ihm verwirrt, unsicher und beleidigend für die „Auswärtigen“ schienen, wieder zu streichen.[1]

Wir müssen das bedauern, denn wir sind dadurch ohne Zweifel um eine eigenartige Reichsgeschichte gekommen. Daß Münster die Kaiserreihe zu füllen gewußt hätte, lehren verstreute Bemerkungen über die Geschichte Heinrichs IV., die er im zweiten Teil bei Rufach, Mainz, Köln und Sachsen bietet.[2] Auch die Staufer wären dann wohl nicht so ganz in den Hintergrund getreten.

Selbständig ist Münster nun freilich auch in den Abschnitten nicht, die er selbst niedergeschrieben hat. Was er über das römische Germanien weiß, beruht ebenso wie seine Angaben über die Christianisierung Deutschlands[3] in allem Wesentlichen auf Beatus Rhenanus, die Schilderung der Sitten der Germanen ist wörtlich aus Johannes Boemus übersetzt, demselben ist die Ausführung über die „gemeinen breuche vnd sitten ietziger Teutschen völcker“ entnommen.[4] Was er über die Aufeinanderfolge der Namen Teutonia, Germania, Alemannia sagt, erinnert an Aventin, für die Erörterung über Namen und Ursprung der deutschen Städte hatten Irenikus und Althamer vorgearbeitet.

Aber Münster ist trotzdem kein gewöhnlicher Kompilator. Auch wo er einfach zu übersetzen scheint, weiß er seine Meinung auszudrücken, man sieht das, wenn man die Stelle über den deutschen Adel liest, die, eigentlich aus Nauklerus stammend, schon bei Boemus ihr Aussehen charakteristisch verändert hatte.[5] Seine Abhängigkeit von Rhenanus hindert ihn nicht, gegen diesen bei der Ableitung des Wortes „Pfalz“ mit gesunder Logik zu polemisieren.[6] Überdies ist er über seine Gewährsmänner hinaus zu den Quellen vorgedrungen. Nauklerus hat ihn zu den Briefen des Bonifatius, Rhenanus zu Ammian und doch wohl auch zu den Rechtsbüchern geführt, aus dem Schwabenspiegel, der ihm erst im Verlauf seiner Arbeit bekannt geworden war, gibt er in einem eigenen Abschnitte Auszüge, denn er meint, daß dies Buch selten gefunden werde, und fügt daran seine Bemerkungen über römische und deutsche Rechtsentwicklung.[7]

In den gelehrten Diskussionen ist er ganz heimisch, das zeigen seine Bemerkungen über den Zwiespalt der Tacitus- und Ptolemäusinterpreten.[8] Kritisch, wie Beatus Rhenanus, ist er nicht, aber skeptisch. Trotzdem es ihm bei seiner Arbeit nicht wenig um die Origines von Herrschaften und Städten zu tun war, lehnt er ab,


  1. [284] 137) Brieffer an Rhenanus, Basel 1546 juli 6. (Bfwechsel d. Rhenanus 533): Cum Sebastianus Munsterus in Chronico suo iam centum folia impressisset et Gallia absoluta Italiam aggrederetur, obtulit mihi collectanea sua in Helvetiam, ut ea emendarem, arbitratus me id biduo absoluturum. Verum cum ego ea diligentius legerem ac altius perpenderem, videbam pleraque esse confusa, incerta et quae exteros plurimum offenderent. Motus ergo amore patriae ex integro congessi, quae habentur a folio 165 usque ad folium 189 de Germanorum regibus et imperatoribus. Videbantur enim haec lucem allatura iis, quae in Helvetiam et Germaniam reliquam essent conscribenda. Praeterea quae continentur a folio 205 usque ad folium 303, congessi quoque, quamvis ipse Munsterus et Henricus Petri interdum quaedam adiecerint, quae tamen mallem praetermissa. In fundationibus monasteriorum Masmunster, Murbach, S. Gregorii etc. indicavi ei quaedam, quae partim ex Chronico Ebersheim-Münster, quod apud te habes, olim collegeram, partim ex aliorum scriptis didiceram. Idem quoque egi circa Colmariam, Selestadium, Susenburg et Röttlenn. Reliqua non legeram, [285] tantum abest, ut aliquid operae in iisdem praestiterim. ... Wenn die Angaben Brieffers richtig sind, so gehört ihm nicht nur die Beschreibung der Schweiz (das ist f. 205–303) und die Kaiserreihe bis f. 196, sondern auch noch der Abschnitt „Von den Fürstenthummen und herrschafften“ und der oben zitierte „Wie die Reichstett vnd die Reichstäler gefreiet worden“. Damit würde stimmen, daß mit dem nächsten Abschnitt „Was ordnungen in dem keyserthumb gemacht sein“ wieder der Gedankengang der Descriptio Germaniae einsetzt. Aus stilistischen Gründen möchte man freilich lieber auch die beiden vorher genannten Abschnitte Münster zuschreiben, so daß in dem Schreiben Brieffers 186 statt 189 zu lesen wäre. Münster sagt in der Kosmographie S. 164, daß ihm Brieffer im folgenden sehr geholfen habe, spricht aber im Text stets in erster Person. Für Brieffers historische Interessen ist auch der Brief nr. 366 an Rhenanus zu vergleichen.
  2. [285] 138) Kosmographie F. 310, 330, 487.
  3. [285] 139) F. 195.
  4. [285] 140) Schmidt, Volkskunde 137.
  5. [285] 141) F. 201: Münster hat den oben S. 185 gegebenen Zusatz Böhms wieder fortgelassen, aber auch anderes, z. B. [comites et barones caeterique nobiles per regionem dispersi] florum adinstar relucent.
  6. [285] 142) F. 320 (Er zitiert die Ammianstelle XVIII, 2,15 und fährt dann fort): Zů diesem antwurt ich also: Ist die pfaltz bey Rhein erwachsen von dem ort Palas, wo her ist dann erstanden die pfaltz zů Schiern, die pfaltz zu Wittelspach, die pfaltz zu Dachaw etc.? Ich acht, der nam pfaltzgraue sey so wol ein nam einer herrlichkeit oder eins ampts, von dem keyser ingesetzt, wie disse namen landgraue, marggraue, burggraue, centgraue und dergleichen.
  7. [285] 143) F. 193: Von landrechten, die im keyserthum seind gemacht worden. – Er hat das Buch Dezember 1543 von dem Basler Bürgermeister Adelberg Maier bekommen. Er zitiert dann auch den Sachsenspiegel und sagt: Es seind die Teutschen da zumal gar onbärtig vnnd onbürgerlich gewesen, das auch den christlichen künigen von nöten ist gewesen inen gesatz geben von kleinen dingen vnnd sie zu leren gleich wie die kinder, do mit ir wandel vnnd leben in ein gute ordnung kem. . . . Am Schluß heißt es: Solche vnd andere mere landrechten hat der gros keyser Carlen geben, aber keyser Friderichen schreibt man zů das lehenrecht. Doch seind alle satzungen vnd rechten, die wir haben im römischen reych fast entsprungen von dem keyser Constantino vnd seinen nachfolgern, waren aber nit wol onderscheiden vnd dar zu onverstenlich vnd nit brüchlich. Darumb kam keyser Theodosius der iünger, der ließ eins jeden keysers satzungen schreiben vnd nent das buch Theodosianum codicem. Darnach kam Justinianus, des ersten keysers Justiniani sun, der erleucht alle satzungen vnd tilgt ab die ontüglichen vnd onnützen leges vnd kurtzet, das zu lang dar an war.
  8. [285] 144) F. 148: Nun lug zu, was völcker vnd geschlechter im Teutschland vor zeyten seyn gefunden worden, ee sie ein namhafftige statt hand gebauwen vnd zugericht. Vnnd ist wol ein wunder, daß disse namen also gar zergangen seind vnnd so wenig noch vnder den Teutschen gespört werden. Darumb auch so vil gelerte menner sich alhie nit ein wenig bemühen, do sie vnder ston anzuzeigen, wo vnd an welchem ort ein ietlich volck sich gehalten hab, vnd wie es ietzunt den namen verendert hat. Aber sie seind der sachen nit eins, dann einer landet vff Ptolemeum, der ander vff Cornelium vnd der dritt glaubt [286] Straboni, vnnd so die selbigen ersten beschreiber nit gar einhellig seind in beschreibung disser völcker, magstu wol erachten, daß ire nachfolger auch nit in allen dingen zusammenstimmen werden. Weren aber disse scribenten geborne Teutschen gewesen, so hett es hie gar kein not, es were auch kein zweyfel erstanden in den namen. Nun aber so sie von außen in das Teutschland gucket hand vnd das angeschriben, das man inen fürgesagt hat vnnd darzu einer wol zwei hundert jar nach dem andern geschriben hat, magstu wol bey dir ermessen, was grosses mangels do sey gewesen.