Seite:De Neue Thalia Band2 377.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält.

es war eine kalte Winternacht, legte mich da auf seinen alten abgetragenen Oberrock, und lag so, meine Arme um den überirdischen, wahrhaft ausserordentlichen, Sterblichen geschlungen, die ganze Nacht. – Auch hier, Sokrates, wirst du mich keiner Lüge beschuldigen! – Aller dieser Schritte von meiner Seite unerachtet, entwischte er doch, verhöhnte und verlachte und verspottete meine Schönheit, die doch meinem Urtheil nach allerdings nicht so weggeworfen zu werden verdient. Oder irre ich, ihr Richter – denn Richter sollt ihr hier sein über Sokrates Uebermuth! – Ich muß euch bey allen Göttern und Göttinnen betheuern, ich stand von Sokrates des andern Morgens nicht anders auf, als hätte ich bey meinem Vater oder ältesten Bruder geschlafen. Denket euch mein Gefühl nach diesen Auftritten! Wie es mich schmerzte, mich so verachtet zu sehn, und wie ich zugleich eine solche Größe, eine solche Tugend, eine solche Festigkeit anstaunte, in Verwunderung, einen Menschen von einer solchen Weisheit und Enthaltsamkeit zu sehen, als ich nie gehofft hätte zu finden. Ich hätte auf ihn zürnen, alle Verbindung mit ihm aufheben sollen: aber ich konnte es nicht von mir erhalten. Und doch kannte ich auch kein Mittel, ihn an mich zu ziehen. Denn daß er noch weniger durch Gold als Ajax durch den Stahl verlezbar sei, das wußte ich, und wo ich ihn zu fangen allein gehofft hatte,

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Zweyter Band, welcher das vierte bis sechste Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1792, Seite 377. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band2_377.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)