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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält.

gehalten seyn, aber das, was er wirklich ist, muß man aus dem mimischen Vortrag seiner Worte und aus seinen Gebärden, also aus Bewegungen, die er nicht will, zu errathen suchen. Erfährt man aber, daß ein Mensch auch seine Gesichtszüge wollen kann, so traut man seinem Gesicht, von dem Augenblick dieser Entdeckung an, nicht mehr, und läßt jene auch nicht mehr für einen Ausdruck seiner Gesinnungen gelten.

Nun mag zwar ein Mensch durch Kunst und Studium es zuletzt wirklich dahin bringen, daß er auch die begleitenden Bewegungen seinem Willen unterwirft, und gleich einem geschickten Taschenspieler, welche Gestalt er will, auf den mimischen Spiegel seiner Seele fallen lassen kann. Aber an einem solchen Menschen ist dann auch alles Lüge, und alle Natur wird von der Kunst verschlungen. Grazie hingegen muß jederzeit Natur d. i. unwillkührlich seyn (wenigstens so scheinen) und das Subjekt selbst darf nie so aussehen, als wenn es um seine Anmuth wüßte.

Daraus ersieht man auch beyläufig, was man von der nachgeahmten oder gelernten Anmuth (die ich die theatralische und die Tanzmeistergrazie

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 150. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band3_150.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)