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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält.

Harte und Schwerfällige zu fallen, opfert sie lieber etwas von dem Zweck der Bewegung auf, oder sucht ihn durch Umschweife zu erreichen. Wenn der unbehülfliche Tänzer bey einer Menuet soviel Kraft aufwendet, als ob er ein Mühlrad zu ziehen hätte, und mit Händen und Füßen so scharfe Ecken schneidet, als wenn es hier um eine geometrische Genauigkeit zu thun wäre, so wird der affektirte Tänzer so schwach auftreten, als ob er den Fußboden fürchtete, und mit Händen und Füßen nichts als Schlangenlinien beschreiben, wenn er auch darüber nicht von der Stelle kommen sollte. Das andre Geschlecht, welches vorzugsweise im Besitze der wahren Anmuth ist, macht sich auch der falschen am meisten schuldig; aber nirgends beleidigt diese mehr, als wo sie der Begierde zum Angel dienet. Aus dem Lächeln der wahren Grazie wird dann die widrigste Grimasse, das schöne Spiel der Augen, so bezaubernd, wenn wahre Empfindung daraus spricht, wird zur Verdrehung, die schmelzend modulirende Stimme, so unwiderstehlich in einem wahren Munde, wird zu einem studirten tremulirenden Klang, und die ganze Musik weiblicher Reizungen zu einer betrüglichen Toilettenkunst.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Dritter Band, welcher das erste bis dritte Stück enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 226. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band3_226.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)