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Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält.

Den Charakter selbst kann der Vorleser nicht unmittelbar darstellen. Er sucht zunächst die Gefühle zu versinnlichen, welche die Gedankenreihe begleiten, und aus der Einheit dieser Gefühle entspringt sodann die Total-Vorstellung des Charakters.

Die menschlichen Gefühle lassen sich ihrer Verschiedenheit ohngeachtet in zwey Hauptklassen bringen.

Bey jedem Gefühle liegt die dunkle Vorstellung von dem Verhältnisse zum Grunde, in dem unser Ich, oder das, was wir zu unserm Ich rechnen, gegen irgend einen Theil der Außenwelt sich befindet.

Der Trieb unsre Existenz zu erhöhen und zu vervielfältigen, von innen, und der Widerstand gegen die Befriedigung dieses Triebes von außen bringt die Erscheinung hervor, welche Leben genannt wird – der Kampf des einzelnen Wesens gegen die Theile des Weltalls, die es berührt.

So bald der Mensch sich bewußt ist, ob dieser Kampf zu seinem Vortheil oder Nachtheil in dem gegenwärtigen Momente sich entscheidet, so fühlt er seinen Zustand.

Dies Gefühl ist entweder erhebend – durch den errungenen oder geahndeten Sieg – oder niederdrückend – durch das Uebergewicht der äußern beschränkenden Kräfte.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Neue Thalia. Vierter und letzter Band, welcher das vierte fünfte und sechste Stück enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1793, Seite 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Neue_Thalia_Band4_107.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)