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Furcht, diese verwandle sich in ein scheussliches Thier, wie es so oft der Fall gewesen war. Ich versuche sie von der Thierangst zu befreien, indem ich die Thiere einzeln durchgehe und frage, ob sie sich vor ihnen fürchte. Sie antwortet bei den einen „Nein“, bei den anderen: „Ich darf mich nicht fürchten“.[1] Ich frage, warum sie heute und gestern so gezuckt und gestottert. Das thue sie immer, wenn sie so schreckhaft sei.[2] – Warum sie aber gestern so schreckhaft gewesen? – Im Garten sei ihr allerlei eingefallen, was sie drückte. Vor allem, wie sie verhindern könne, dass sich wieder etwas bei ihr anhäufe, nachdem sie aus der Behandlung entlassen sei. – Ich wiederhole ihr die drei Trostgründe, die ich ihr schon im Wachen gegeben: 1. Sie sei überhaupt gesünder und widerstandsfähiger geworden. 2. Sie werde sich gewöhnen, sich gegen irgend eine ihr nahe stehende Person auszusprechen. 3. Sie werde eine ganze Menge von Dingen, die sie bisher gedrückt, fortan zu den indifferenten zählen. – Es habe sie ferner gedrückt, dass sie mir nicht für mein spätes Kommen gedankt, dass sie gefürchtet, ich werde wegen ihres letzten Rückfalles die Geduld mit ihr verlieren. Es habe sie sehr ergriffen und geängstigt, dass der Hausarzt im Garten einen Herrn gefragt habe, ob er schon Muth zur Operation habe. Die Frau sass dabei; sie selbst musste denken, wenn dies nun der letzte Abend des armen Mannes wäre. Mit dieser letzten Mittheilung scheint die Verstimmung gelöst zu sein![3]


  1. Es war kaum eine gute Methode, die ich da verfolgte. Dies alles war nicht erschöpfend genug gemacht.
  2. Mit der Zurückführung auf die beiden initialen Traumen sind Stottern und Schnalzen nicht völlig beseitigt worden, obwohl von da ab eine auffällige Verminderung der beiden Symptome eintrat. Die Erklärung für diese Unvollständigkeit des Erfolges gab die Kranke selbst (vergl. p. 43). Sie hatte sich angewöhnt, jedesmal zu schnalzen und zu stottern, so oft sie erschrak, und so hingen diese Symptome schliesslich nicht an den initialen Traumen allein, sondern an einer langen Kette von ihnen associierten Erinnerungen, die wegzuwischen ich unterlassen hatte. Es ist dies ein Fall, der häufig genug vorkommt und jedesmal die Eleganz und Vollständigkeit der therapeutischen Leistung durch die kathartische Methode beeinträchtigt.
  3. Ich erfuhr hier zum ersten Male, wovon ich mich später unzählige Male überzeugen konnte, dass bei der hypnotischen Lösung eines frischen hysterischen Deliriums die Mittheilung des Kranken die chronologische Reihenfolge umkehrt, zuerst die letzterfolgten und minderwichtigen Eindrücke und Gedankenverbindungen mittheilt und erst am Schlusse auf den primären, wahrscheinlich causal wichtigsten Eindruck kommt.
Empfohlene Zitierweise:
Sigmund Freud, Josef Breuer: Studien über Hysterie. Franz Deuticke, Leipzig und Wien 1895, Seite 62. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Studien_%C3%BCber_Hysterie_062.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)