Seite:De Thalia Band2 Heft6 068.jpg

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sollten. Strenger beurtheilt man aber in dieser Rücksicht gewöhnlich den lyrischen Dichter, ohngeachtet er sich vom dramatischen eigentlich nur in der äußern Form unterscheidet, und die Ode nichts anders ist, als der Monolog eines idealischen Menschen in einer idealischen Stimmung. Indessen ist man größtentheils darüber einverstanden, daß der Dichter sich aller leidenschaftlichen Darstellung enthalten müßte, wenn ihm gar keine Aeußerung erlaubt seyn sollte, die nicht mit den besten Einsichten der Vernunft und den Gesetzen der Moralität völlig übereinstimmte. Nur über den Grad dieser Freiheit ist unter dem geschmackvollern Theile des Publikums eigentlich noch die Frage.

Kühnheit in der Auswahl des Stoffs ist bei Künstlern von vorzüglichen Talenten sehr oft die Folge eines gewissen republikanischen Stolzes. Sich bei dem Publikum durch gefällige Gegenstände einzuschmeicheln, halten sie für den Behelf der Schwäche. Die Wirkung, welche ihr Ziel ist, wollen sie ganz ihrer eigenen Kraft zu danken haben. Und wohl der Nation, wo dieß Gefühl von Unabhängigkeit noch unter den Künstlern möglich ist, wo sich die Kunst nicht bloß mit bestellter Arbeit beschäftigt, sondern auch ihre freien Geschenke dankbar genossen werden. Durch zu viel Nachsicht des Publikums indessen artet jene Kühnheit nicht selten in Uebermuth aus, und daher die Mißgeburten

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 68. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft6_068.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)