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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält
Das heimliche Gericht - Teil 2

Ihr so denken; aber forthin dürft Ihr Eure eigne Seele nicht mehr zum Maßstab unsers Bundes machen. Der nächste Seraph am Thron übersieht das Weltall so wenig als der Wurm im Staube. Der die Kette hält, kennt ihren Zusammenhang allein. – (Nach einer Pause, worin er auf Antwort zu warten scheint.) Es ist nicht Befriedigung, was aus Eurer Miene spricht? – (Indem er ihn bei der Hand faßt, und bis an’s Ende hält.) Schön sind die Geburten der hellen Augenblicke, wenn der entfesselte Geist abgeschüttelt hat, was seine himmlischen Fittige lähmte. Nur überleben sie den Punkt ihres Werdens nicht. Ihr unkörperlich Gewebe verraucht in der schweren Luft des Erdenlebens. Aber es war nicht genug ihr frühes Ende und das wachsende Elend der Menschheit zu bejammern. Hatte die geizige Natur ihnen auch den Himmelsstrich versagt, wo sie gedeihen konnten, er wurde, ihren widrigen Gesetzen zum Trotz, doch erfunden. Zum zweitenmal, und glücklicher, bestehlen Menschen den Himmel; und diese Riesentochter der Begeisterung nährt und säugt jezt ihre Schwestern. – (Er läßt ihn sanft wieder los.) Der Druck Eurer Hand sagt mir, daß er verstanden ist, der hohe Gedanke!

Heinrich. (sehr feurig.) Bei meinem Herzen ja! Ich verstehe ihn.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft6_075.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)