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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält
Iphigenie in Aulis – Teil 2

mein sterbend Kind mit schwarzer Vorbedeutung,
und du wirst eilen, sie zu fliehn![1] Doch nein,

1235
was du gesagt, war alles wohl gesprochen,

und willst du nur, so lebt mein Kind. Soll sie
etwa selbst flehend deine Knie umfassen?
So wenig dieß der Jungfrau ziemt, gefällt
es dir, so mag sie kommen, züchtiglich,

1240
das Aug’ mit edler Freiheit aufgeschlagen.

Wo nicht, so laß an ihrer Statt mich der
Gewährung süßes Wort von dir vernehmen.

Achilles.
Die Jungfrau bleibe, wo sie ist. Daß sie
verschämt ist, bringt ihr Ehre.

Clytemnestra.
 Auch verschämt seyn

1245
hat sein gehörig Maß und seine Stunde.


Achilles.
Ich will es nicht. Ich will nicht, daß du sie
vor meine Augen bringest, und wir beide
boshaftem Tadel Preis gegeben werden.
Ein zahlreich Heer, der heimatlichen Sorgen

1250
entschlagen, trägt sich gar zu gern, das kenn’ ich,

mit häm’schen, ehrenrührigen Gerüchten.
Und mög’t ihr flehend oder nicht vor mir
erscheinen, ihr erhaltet weder mehr


  1. [65] Und du wirst eilen sie zu fliehn!) Ich weiß nicht, ob ich in dieser Stelle den Sinn meines Autors getroffen habe. Wörtlich heißt sie: „Erstlich betrog mich meine Hofnung, dich meinen Eidam zu nennen; alsdann ist dir meine sterbende Tochter vielleicht eine böse Vorbedeutung bei einer künftigen Hochzeit, wovor du dich hüten mußt. Aber du hast wohl gesprochen am Anfang wie am Ende.“ Der französische Uebersetzer erlaubt sich einige Freiheiten, um die Stelle zusammenhängender zu machen. Mais d’un autre côté, quel funeste présage pour votre hymen, que la mort de l’épouse, qui vous fut destinée! le second malheur intéresse l’épous aussi bien que la [66] mère. Enfin qu’ajouterois - je à vos paroles etc. Hier und nach dem Buchstaben des Textes ist es nur eine Warnung; ich nahm es als einen Zweifel, eine Besorgniß der Clytemnestra. So sehr diese durch Achilles Versicherungen beruhigt seyn könnte, so liegt es doch ganz in dem Charakter der ängstlichen Mutter, immer Gefahr zu sehen, immer zu ihrer alten Furcht zurück zu kehren. Auch das, was folgt, wird dadurch in einen natürlichen Zusammenhang mit dem vorhergehenden gebracht. „Aber alles, was du sagtest, war ja wohl gesprochen,“ d. i. ich will deinen Versicherungen trauen.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft7_017.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)