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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält
Iphigenie in Aulis – Teil 2

könnte er sich gegen das auflehnen, was ihm heilig ist? Wenn aber das Heilige wegfällt, so kann er in ihr nichts mehr sehen, als ein Opfer der Gewalt und priesterlichen Künste, und kann sich dieser großmüthige Göttersohn auch alsdann noch so ruhig dabei verhalten? Muß er sie nicht vielmehr, wenn sie mit thörigtem Fanatismus gleich selbst in den Tod stürzen will, mit Gewalt davon zurückhalten, als daß er ihr erlauben könnte, ein Opfer ihrer Verblendung zu werden? Man nehme es also wie man will, so ist entweder sein Versuch zu retten thöricht, oder seine nachfolgende Ergebung unverzeihlich, und inconsequent bleibt in jedem Falle sein Betragen. Der Chor in diesem Stücke, wenn ich seine erste Erscheinung ausnehme, ist ein ziemlich überflüßiger Theil der Handlung, und wo er sich in den Dialog mischt, geschieht es nicht immer auf eine geistvolle Weise; das ewige monotonische Verwünschen des Paris und der Helene muß endlich jeden ermüden. Was gegen die, durch ein Wunder bewirkte, Entwickelung des Stücks zu sagen wäre, übergeh’ ich; überhaupt aber ist zwischen der dramatischen Fabel dieses Dichters und seiner Moral oder den Gesinnungen seiner Personen zuweilen ein seltsamer Widerspruch sichtbar, den man, soviel ich weiß, noch nicht gerügt hat. Die abenteuerlichsten Wunder- und Göttermährchen verschmäht er nicht, aber seine Personen glauben nur nicht an ihre Götter, wie man

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Zweiter Band welcher das V. bis VIII. Heft enthält. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1788–1789, Seite 56. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band2_Heft7_056.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)