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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

Falier war mit einer jungen, sehr reitzenden Gemahlin vermählt, die unter dem Adel der Stadt viele Verehrer fand.

Unter andern zeichnete sich ein gewisser Michael Steno aus, dessen stille Leidenschaft von Seiten der Dogareßa, wie man sagt, die schmeichelhaftesten Ermunterungen bekam. Dieser Michael Steno war ein schön gebildeter Mann, Mitglied der Quarantie, besaß einen mächtigen Anhang in der Stadt, und lebte mit dem Hause des Dogen auf einem sehr vertrauten Fuß: um so viel mehr wandte er alles an, seine Wünsche zu befriedigen. Indeß konnte dieser Umstand den scharfsichtigen Blicken des Falier nicht lange verborgen bleiben. Die Eifersucht erwachte bey ihm mit ihrem ganzen Gefolge von Unbesonnenheit und Uebereilung. Bis jetzt tobte sie nur in geheim, bey der ersten Gelegenheit brach sie aber mit dem heftigsten Ungestüm aus. Diese Gelegenheit brachte der erste Donnerstag in der Fastnacht. An diesem Tag pflegt der Doge sich mit seinem Gefolge auf einem, dem kleinen Platz gegenüberstehenden, Gang einzufinden, um den Ergötzungen des Volks beyzuwohnen, welches sich beeyfert, ihn mit mancherley Zeremonien zu beehren. Ist der Doge verheirathet, so nimmt die Dogareßa ebenfalls an diesen Feierlichkeiten Theil, und dieß war hier der Fall. – Der Doge erschien in Begleitung seines Hofs und seiner Gemahlin, und auch Steno erschien mit ihm. Dieser wußte seine Stellung so vortheilhaft zu nehmen, daß er die schöne Dogareßa beständig vor Augen hatte.

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 61. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft10_061.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)