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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

ohne jene uneigennützige Thatkraft, die ihre eigne Glückseligkeit nur in der Glückseligkeit aller findet.

Ganz anders gestimmt war die Seele des Bürgers von Genf. In ihr erregten Laster und Vorurtheil niemals Spott, sondern Unwillen oder Mitleiden; denn er sah sie mit menschlichem Elend zu nahe verwandt. Er begnügte sich nicht, ins Gebiete der Sitten und der Staatskunst Streifzüge zu thun: Er besuchte jede, noch so unwegsame Gegend. Sein Witz selber floß aus seinem Herzen, und dieser Witz war bitter und ernst. Er hatte die Menschheit von der Wiege bis zum Grab, im häuslichen und im öffentlichen Leben, in Pallästen und unter dem Strohdach, immer in den Fesseln der Irrthümer und des Elends gesehen: Sein für alle Arten von Leiden allzuempfänglicher Geist hatte mit so vielen eignen gekämpft, daß er, müde des allgemeinen Schicksals, sich nach einer bessern Ordnung der Dinge sehnte, die seine düstre Einbildungskraft nur im Gegentheil der gegenwärtigen sah. Was die Genüsse des Lebens macht, schien ihm auch die Laster hervorzubringen, die es verbittern, und selbst in den Quellen geistiger Vergnügungen sah er nur neue Quellen des Jammers. Allein durch jene Strenge in Aufsuchung der Ursachen des menschlichen Elends, wenn sie gleich zuweilen, was unschuldig oder unschädlich war, in die Verdammung einschloß, entgieng wenigstens keines der wirklichen Uebel seinem scharfen, unerbittlichen

Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 54. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft12_054.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)