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Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.

     So stieß die alternde Menschheit mit ihrer vernünftelnden Kälte die neugeborene Kunst in die Sphäre der Dienstbarkeit hinab. Dennoch streben viele hinan den steilen Pfad zum Künstlerruhme. Ihnen winkt das Ziel der überwundenen Schwierigkeit. Nur durch das Thor der Wissenschaft dürfen sie herannahen zum Tempel der Kunst. Nach tausend erlernten Regeln wählen sie ihren Gegenstand, ordnen Stellungen und Figuren, karakterisiren die Affekten, und oft gelingt es ihnen, durch treue Nachahmung der Natur eine Täuschung zu bewirken, die dem grundgelehrten Kenner einen kalten Lobspruch abgewinnt. Aber die Palme der Simplicität errangen die Griechen, denen das beneidenswerthe Loos gefallen ist, im Chaos der unverdorbenen Natur den Keim der Sittlichkeit zu entwickeln, den Denker zur Abstraktion zu geleiten, und die Ahndungen des Wilden, womit er sich die Naturnothwendigkeit unter dem rohen Bilde allgewaltiger, menschenähnlicher Wesen träumte, in die reizende, wohlthätige Hülle der idealischen Schönheit zu kleiden.

     Die schönen Stunden des unbefangenen Genusses sind auf ewig entflohn! Traure, wer seiner Jugend nicht froh geworden ist. Hohnneckend triumphire der finstre Freudenstörer, der nie empfand. Tröste sich der Weise, der im Wechsel der Dinge das Ziel herannahen sieht. [1]


  1. Die Unvollkommenheiten dieses flüchtigen Aufsatzes wird man vielleicht eher entschuldigen, wenn man erwägt, daß [109] er nur die ersten Ansichten der Phantasie über einen Gegenstand enthält, dessen vollständige und bestimmte Ausführung metaphysischen Ernst erheischte. Billige Richter kennen die Verwickelungen, welche den Schriftsteller oft unwillkührlich für diese oder jene Art der Composition bestimmen, und wissen, daß im Augenblick der Begeisterung manche Idee nur angedeutet werden kann, daß ein Gefühl des vorübereilenden Augenblicks, womit man Wahrheit zu ahnden glaubt, um der Mittheilung fähig zu werden, nur als ein halbdunkles Bild erscheinen darf. Allein es sey ferne, daß diese Kleinigkeit auf eine Kritik Anspruch machte. Als Meditation über eine individuelle Empfindungsart mag sie bey den Lesern anfragen, ob sich jemand unter ihnen finde, dessen Gefühl sich in ihren Gesichtspunkt versetzen kann? Der Verfasser hat es nur versucht, sich selbst das Phänomen seiner eigenen Seele zu erklären, warum ihn jedes, selbst das gepriesenste Kunstwerk kalt und gleichgültig läßt, sobald es keine Spuren jener Idealisirung an sich trägt, welche der Natur getreu, ihre Züge durch Zusammenstellung veredelt, und dem Möglichen Wirklichkeit verleiht. Für Fleiß und Geschicklichkeit hat er nur raisonnirte Bewunderung. Wer anders empfindet, wird auch anders urtheilen.
Empfohlene Zitierweise:
Friedrich Schiller (Hrsg.): Thalia. Dritter Band welcher das IX. bis XII. Heft enthält.. Georg Joachim Göschen, Leipzig 1790–1791, Seite 108. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Thalia_Band3_Heft9_108.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)