Seite:De Volkssagen Pommern 345.jpg

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zu der Stelle zurückkehren, und den Dieb lossprechen. Dies that der alte Frank mit folgenden Worten:

Der Schlüssel, den ich habe,
Und immer bei mir trage,
Schloß auf das Grab des Herrn,
Ich leih’ ihn dir sehr gern;
Der Schlüssel ist sehr groß;
Womit ich dich jetzt löse los!

Nach solchen Worten läßt der Dieb seine Bürde fallen, und läuft eilig davon. Festhalten darf man ihn nicht; man darf ihm nicht einmal Vorwürfe machen, denn sonst kann der Banner ebenfalls nie wieder den Diebessegen sprechen. Man muß vielmehr zu dem weglaufenden Diebe sagen: Gehe in Gottes Namen! – Dann wird er niemals wieder stehlen.

Dem alten Frank wäre es mit dem Diebessegen einmal beinahe schlecht ergangen. Er hatte eines Abends eine Baustelle besprochen, auf welcher er viele Spähne liegen hatte. In der Nacht verschlief er sich, und es war ganz nahe vor Sonnenaufgang, als er erst zu der Baustelle kam. Hier sah er seinen besten Freund stehen, der ihm hatte Spähne stehlen wollen, und der mit einer großen Last auf dem Kopfe, über und über voll Schweiß, da stand und nicht von der Stelle konnte. In der Eile und Angst hatte der alte Frank auf einmal den Lösungsspruch vergessen, der ihm gar nicht beifallen wollte. Es waren nur noch drei Minuten vor Sonnenaufgang. Da kam er zuletzt zu einem raschen Entschluß. Er nahm sein Messer, und schnitt die Erde unter den Füßen des Diebes ganz durch. Darauf gab er diesem einen Stoß, daß er mit seiner Last umfiel. Auf diese Weise wurde der Dieb befreit; eine Minute später wäre er ein Neger geworden.

Daselbst.


Empfohlene Zitierweise:
Jodocus Donatus Hubertus Temme: Die Volkssagen von Pommern und Rügen. Nicolaische Buchhandlung, Berlin 1840, Seite 345. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Volkssagen_Pommern_345.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)