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Orten undenkbar erscheint. Und wenn immer nur ein beschränkter Prozentsatz von Identitäten in den gleichzeitigen fossilen Faunen oder Floren gefunden wird, so erklärt sich dies natürlich leicht aus dem Umstand, daß nur ein Bruchteil der gesamten damals lebenden Organismenwelt in fossilem Zustande erhalten ist und bisher gefunden wurde. Denn selbst wenn die ganze Organismenwelt auf zwei solchen Kontinenten einst restlos identisch war, wird die Unvollständigkeit unserer Kenntnis zur Folge haben müssen, daß die beiderseits gemachten Funde nur teilweise identisch ausfallen, zum anderen, meist größeren Teile aber Unterschiede vortäuschen; und dazu kommt natürlich noch der Umstand, daß die Organismenwelt auch bei vollkommener Austauschmöglichkeit doch nicht vollkommen identisch gewesen sein wird, wie ja auch heute z. B. Europa und Asien keineswegs identische Fauna und Flora haben.

     Und zu dem gleichen Ergebnis gelangt auch die vergleichende Untersuchung der heutigen Tier- und Pflanzenwelt. Die heutigen Arten auf zwei solchen Kontinenten sind zwar verschieden, aber die Gattungen und Familien sind noch die gleichen; und was heute Gattung oder Familie ist, war in der Vorzeit einmal Art. So führt auch die Verwandtschaft der heutigen Landfaunen und Landfloren zu dem Schluß, daß diese Faunen und Floren in der Vorzeit einmal identisch waren und daher im Austausch gestanden haben müssen, der nur über eine breite Landverbindung gedacht werden kann. Erst nach Abbruch dieser Landverbindung kam es zur Aufsplitterung in die heute verschiedenen Arten. Es ist wohl nicht zuviel gesagt, daß die ganze Entwicklung des Lebens auf der Erde und die Verwandtschaft der heutigen Organismen auch auf weit getrennten Kontinenten uns ein unlösbares Rätsel bleiben muß, wenn wir nicht solche ehemaligen Landverbindungen annehmen.

     Nur ein Zeugnis für viele: de Beaufort schreibt [123]: „Es könnten noch viele andere Beispiele genannt werden, aus denen hervorgeht, daß es in der Zoogeographie unmöglich ist, zu einer annehmbaren Erklärung der Verbreitung der Tiere zu kommen, wenn man nicht Verbindungen annimmt zwischen heute getrennten Kontinenten, und zwar nicht nur Landbrücken, von denen, wie Matthew es ausdrückt, nur ein paar Planken weggenommen sind, sondern auch solche Verbindungen, wo jetzt der tiefe Ozean trennt“[1].


  1. „Allerdings gibt es heute auch noch einige Gegner der Landbrücken. Unter ihnen ist besonders G. Pfeffer hervorzuheben. Er geht davon aus, daß verschiedene jetzt auf die Süderdteile beschränkte Formen auf der Nordhalbkugel fossil nachgewiesen sind. Für diese ist es nach ihm unzweifelhaft, daß sie einst mehr oder weniger universal verbreitet waren. Ist nun schon dieser Schluß nicht unbedingt zwingend, so noch viel weniger der weitere, daß wir eine universale Ausbreitung auch in allen den Fällen diskontinuierlicher Verbreitung im Süden annehmen dürfen, in denen ein fossiler Nachweis im Norden noch nicht stattgefunden hat. Wenn er so alle Verbreitungseigentümlichkeiten ausschließlich durch Wanderungen zwischen den Nordkontinenten und ihren mediterranen Brücken erklären will, so steht diese Annahme durchaus auf ganz unsicherem Boden.“ (Arldt [135].) Daß sich die Verwandtschaften der Südkontinente einfacher und vollständiger durch unmittelbare Landzusammenhänge erklären lassen, als durch parallele Abwanderung vom gemeinsamen Nordgebiet, bedarf wohl keiner Erläuterung, wenn auch in einzelnen Fällen der Vorgang sich so abgespielt haben kann, wie Pfeffer annimmt.
Empfohlene Zitierweise:
Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. Braunschweig: Friedr. Vieweg & Sohn Akt.-Ges., 1929, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wegener_Kontinente_005.jpg&oldid=- (Version vom 18.8.2016)