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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

von einem anderen viel auf sich wirken lassen und neugestaltet in seine Schriften mit hineingeflochten: das Vorbild E. T. A. Hoffmanns, des einst so berühmten Verfassers unheimlicher Schauergeschichten, ist an vielen Stellen der Werke unseres Dichters, besonders aber in der Einleitung zu den „Memoiren des Satan“, wiederzuerkennen. Dann aber ist es vor allen noch einer der älteren Zeitgenossen, mit dem sich Hauff gern und viel beschäftigt haben muß, das ist Jean Paul, der Eigentümlichsten einer seiner Zeit, der wohl allein durch seine übermäßig breite Darstellung und seine verzwickten Reflexionen heute mehr als recht von unserem Büchertische verschwunden ist. Damals aber war er ein echter Sohn seiner Zeit, mit seiner verklärten Romantik und seinem köstlichen, unter Thränen lachenden und im Lachen weinenden Humor. Namentlich aus der „Bettlerin vom Pont des Arts“ können wir erkennen, wie hoch Hauff diesen Mann verehrte.

Von den beiden Dichterheroen der klassischen Zeit stand Altmeister Goethe im Vordergrunde des Interesses. Schiller war schon über 20 Jahre tot, und mit ihm befaßte sich auch die Romantik fast gar nicht; auf der Bühne hatte sich die Schicksalstragödie Werners, Müllners und Grillparzers breit gemacht, die aber bald, nach kurzer Blüte, ihr Ansehen wieder einbüßte. An Goethe aber suchten sich die jüngeren aufzurichten, um ihn sammelte sich die Schar der Bewunderer, obgleich es in gewissen Kreisen bereits Mode war – und auch Hauff hat sich ja in dieser Weise einmal an ihm versündigt – mit kleinlicher Eifersucht Mängel an dem größten Genius der Zeit aufzuspüren. Alles zog nach Weimar, um den gefeierten Dichter zu bewundern, und oft genug mußte sich der alte Herr solche nichtssagende Besuche gefallen lassen, wie Hauff uns einen in den „Memoiren des Satan“ schildert. Jeder, auch der geringste Dichterling, versuchte sich in Nachahmung Goethescher Lieder oder Prosawerke, und auch Hauff hat einen nicht geringen Teil seines fließenden Stiles dem eifrigen Studium jener Werke zu verdanken, mit denen er sich schon in früher Jugend vertraut gemacht hatte. Auch Platen, Schulze und Rückert waren bei dem Alten in die Schule gegangen; der einzige eigentlich, der fast ganz auf eigenen Füßen stand, war der junge Heine, dessen „Buch der Lieder“ soeben Aufsehen erregend die Welt durchwanderte.

Aber außer durch die Werke dieser teils faden, sinkenden, teils jugendlich frisch aufstrebenden Talente deutscher Nation, außer durch die Romantik und die Schwäbische Schule wurde diese Periode der deutschen Dichtung noch durch gute, zum Teil sogar mustergültige Übersetzungen ausländischer Werke bereichert. 1797 hatte Schlegel mit seiner [21] anerkennenswerten Verdeutschung Shakespeares begonnen und damit das Beispiel einer wahrhaft genießbaren Übersetzung fremdländischer Geisteserzeugnisse gegeben. Nun ging man auch daran, die berühmten italienischen und spanischen Dichtungswerke unserem Volke zugänglich zu machen. Dantes „Göttliche Komödie“ wurde metrisch übersetzt von Kannegießer und von Streckfuß, der schon vorher Tassos „Befreites Jerusalem“ übertragen hatte. An dieselbe Arbeit hatte sich 1800 schon Gries gemacht, der bekannte Übersetzer des Ariost und der Schauspiele Calderons; auch der unvergleichliche „Don Quixote“ fand eine angemessene Verdeutschung unter der Feder Ludwig Tiecks. Alle diese ausländischen Dichter wurden in dem neuen deutschen Gewande bald heimisch in unserm Volke, keiner aber von allen wurde noch zu seinen Lebzeiten so beliebt und gefeiert wie Walter Scott. Fast gleichzeitig mit der auf 74 Bände anwachsenden englischen Ausgabe erschienen auch billige deutsche Übertragungen dieser sämtlichen Romane, die seiner Zeit in Deutschland wohl mehr Anhänger und Leser in den besseren Kreisen fanden als selbst irgend ein deutscher Schriftsteller. Diese Geschmacksrichtung des Publikums übte natürlich auch wieder ihre Rückwirkung auf die litterarische Produktion in Deutschland aus: man fing an, Scott nachzuahmen, und fand damit gute Aufnahme beim Volke. Der beste und getreueste Schüler des großen Schotten war Wilibald Alexis, der mit seinen historischen, in Scottischem Stile gehaltenen Romanen lange Zeit dies Feld beherrschte, ohne daß es ihm aber geglückt wäre, das zu erreichen, was dem jugendlichen Hauff mit seinem ersten und einzigen Werke dieser Richtung, dem „Lichtenstein“, sofort gelang.

Wenn wir nun die Erzeugnisse der Hauffschen Muse einer eingehenden Prüfung unterziehen wollen, wo müssen wir uns vor allen Dingen klar werden, mit welcher Art litterarischer Thätigkeit er vor allem seine Stellung in der deutschen Litteraturgeschichte errungen hat. Hauff war kein Originalgenie wie unsere Dichterheroen Goethe und Schiller, wie Heine, Jean Paul und andere, das dürfen wir nie vergessen. Er hatte einen ungemein regen Schaffensgeist, eine lebhafte, leicht bewegliche Phantasie und ein glückliches Gestaltungstalent; aber was er geschaffen, hat er, wenn auch in durchaus selbständiger Weise, in Nachahmung all der zahlreichen Vorbilder geleistet, deren Werke seinem Geiste Nahrung und Kraft gegeben haben, deren Schöpfungen er in sich aufgenommen und verarbeitet hat.

Hauff ist bei sehr vielen seiner Zeitgenossen in die Schule gegangen, sein jugendlich, kindlicher Lesehunger hat ihn mit einer so großen Menge der damaligen Tageslitteratur bekannt gemacht, daß er zuzeiten

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 20–21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_017.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)