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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

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Bei kaltem Blut bereust du ohne Zweifel;

Du sollst entschuldigt und versöhnet sein.“

     Mit schönen Worten, blendenden Versprechen
Hat ein bekannter Herr mich arm gemacht,
Und um mich für die Tausende zu rächen,

20
Um die mich der Verräter hat gebracht,

Schalt ich Herrn V… einen Beutelschneider.
„Mein Sohn! das Wort war freilich grob. Allein
Die Welt nennt ihn mit diesem Namen, leider!
Du sollst entschuldigt und versöhnet sein.“

25
     Das „Sakrileg“, ich will’s gestehen, nannte

Ich ein Gesetz für Sklaven nur gemacht,
Der Menschheit Schmach und des Jahrhunderts Schande,
Und P…, ihn, der es ausgedacht,
Schalt ich den Mörder aller freien Seelen.

30
„Mein Sohn! das war ein derber Schimpf. Allein

Du irrtest menschlich, irren heißt nicht fehlen;
Du sollst entschuldigt und versöhnet sein.“

     Und als ich diese arme Welt bedachte,
Und sah, wie alles schief und irrig geht,

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Wie man die Tugend und das Recht verlachte,

Und wie jetzt Trug und Laster oben steht,
Da – hielt ich Gott für einen leeren Namen!
„Mein Sohn! du hast dich schwer verfehlt. Allein
Gott ist barmherzig gegen Sünder, Amen!

40
Du sollst entschuldigt und versöhnet sein.“


     Ich liebte Eintracht in Palast und Hütten,
Doch als ich schleichend wiederkehren sah
Die Zwietracht an der Hand der Jesuiten,
Da schwur ich ew’gen Haß Sankt Loyola[1],

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Und ew’gen Haß und Rache seinen Söhnen!

„Mein Sohn! ich bin die Langmut selbst. Allein
Das heißt fürwahr das Heiligste verhöhnen!
Vor Uns und Gott kannst du nicht schuldlos sein!“


[13]

Der Schwester Traum.

Sie schläft. – Es ist die letzte Nacht des Jahres,
Und wenn die Morgenglocken wieder tönen,
Grüßt eine neue Zeit das holde Kind.

     Man sagt, in dieser letzten Mitternacht

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Entsteigen ihren Gräbern manche Schatten,

Die Seelen schweben von dem Himmel nieder,
Die Heimat und die Freunde zu besuchen.
Auch sie gedachte dieser alten Sage,
Als sie im stillen, einsamen Gemach

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Die Ruhe suchte, und den schönen Augen

Entströmten Thränen. Doch, nicht kind’sche Angst
Vor der geheimnisvollen Wiederkehr
Geschiedner Geister trübte ihre Blicke;
Nein, die Erinnrung an geliebte Schatten,

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Die Wehmut um so manches teure Grab

Senkte sich nieder in die stille Seele;
Sie hat für sie gebetet und geweint.

     Sie schlummert; und es nahen die Verlornen,
Die schönen Toten, ihrem stillen Lager,

20
Die Schwestern ihrer Jugend stehen auf

Von einer Welt, wo keine Blüte stirbt.

     Erkennst du sie? Du siehst sie nimmer wieder
Als blühende, als irdische Gestalten;
Nicht wie sie Blumen pflückten, Kränze banden,

25
Nicht wie sie um den trauten Winterherd

Die schaurigschönen Märchen dir erzählten,
Nicht wie du ihnen unter Lust und Scherz
Zum Maientag die schönen Haare flochtest –
Dies alles blieb in ihrem frühen Grab.

30
Sie nahen dir mit geisterhaftem Schimmer,

Umstrahlt von heil’gem, überird’schem Glanz.
Doch, sind die Blütenkränze abgestreift,
Ist ihrer Jugend Schmuck im Sarg zerfallen,
Sie bringen doch die alte Liebe mit,

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Und sanfter, als in ihrer Erdenschöne,

Und weich und zärtlich wie der Lampe Licht,


  1. Ignaz von Loyola (1491–1556), eigentlich Inigo Lopez de Recalde, hat 1537 den Jesuitenorden gegründet.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 12–13. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_029.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)