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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Und seinem Dragoman[1], einem Scioten[2],

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Haben sie hoch und streng verboten,

Er dürf’s nimmer wieder leiden,
Daß der Herr den Araber thät reiten.
Als sie verlassen den Kapitan,
Befiehlt er gleich dem Dragoman,

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Ihm auf Englisch auszudeuten,

Was er gehört von diesen Leuten.
Der Grieche spricht: „Es ist nichts weiter;
Sie glauben, Ihr seid ein schlechter Reiter,
Wollen, Ihr sollt in Stambuls Gassen

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Nimmer zu Pferd Euch sehen lassen.“

Des hat sich der Kapitän gegrämt
Und vor den Türken sehr geschämt.
Spricht zum Dragoman: „Geh hinein
Und sage den Türken, es kommt vom Wein.

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Der Herr ist sonst ein guter Reiter,

Aber heut’ an der Tafel, leider,
Hat er sich ziemlich im Sekt betrunken,
Da ist er im Rausche vom Pferd gesunken.“
Der Grieche ging zum Hafenthor

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Und trug den Türken die Sache vor.

Doch diese hören ihn schaudernd an:
„Wir glaubten Gutes vom roten Mann,
Und dachten, er sitze schlecht zu Pferd,
Weil’s ihn sein Vater nicht besser gelehrt;

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Aber wie! von Wein betrunken,

Ist er im Rausche vom Pferd gesunken!
Pfui dem Giaur[3] und seinem Glas,
Allah thue ihm dies und das!“
Da sprach ein alter Muselmann:

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„Glaubt’s nicht, Leute, höret mich an,

Nicht weil der Frank’ zu viel getrunken,
Ist er schmählich vom Roß gesunken.
Hab’ gleich gedacht es wird so gehn,
Als ich ihn habe reiten sehn,

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[17] Die Knie’ hoch hinaufgezogen,

Den Rücken krumm und schief gebogen,
Die Brust mit Tressen eingedrückt,
Kopf und Nacken niedergebückt.
Denk’ ich, wenn sein Rößlein scheut,

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Ihn sein Reiten gewiß gereut.

Aber nein, ich will euch sagen,
Warum er wollte den Wein verklagen,
Und stellte sich lieber als Säufer gar
Denn als ein schlechter Reiter dar.

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Das macht des Menschen Eitelkeit,

Die ihn zu Trug und Lug verleit’.
Will mancher lieber ein Laster haben,
Hätt’ er nur andere glänzende Gaben;
Und mancher lieber eine Sünd’ gesteht,

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Eh’ er eine Lächerlichkeit verrät;

Ein Dritter will gar zur Hölle fahren,
Um sich ein falsch Erröten zu sparen.
So auch der fränkische Kapitan,
Schämt sich und lügt uns lieber an,

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Will lieber Säufer sich lassen schelten,

Als für einen schlechten Reiter gelten.“


Amor der Räuber.

Nach dem Italienischen.

Die Unschuld saß in grüner Laube,
Sie hielt ein Täubchen in dem Schoß;
Und Amor kam: „Gib mir die Taube;
Ein Weilchen nur gib deine Taube.“

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Die Unschuld ließ sie lächelnd los,

Doch hielt sie Täubchen an dem Band,
Das sich um Täubchens Flügel wand.

     Doch kaum hat er die weiße Taube;
So schneidet er den Faden ab;

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Und höhnisch lachend mit dem Raube

Entflieht der Räuber aus der Laube


  1. Türk., d. h. Dolmetscher.
  2. Von der türkischen Insel Chios im Ägeischen Meer.
  3. Türk., d. h. Ungläubiger.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 16–17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_031.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)