Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke | |
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Warum hat doch ihr Händchen so gezittert,
Und als ich ihr recht tief ins Auge schaute,
Was machte sie auf einmal doch so rot?
Sie hat die Rose, die ich ihr gegeben,
So sorgsam ins Gebetbuch eingelegt;
Am Busen und am Sommerhütchen trägt.
Warum schwieg sie auf einmal heute stille
Und wußte nicht mehr, was ich sie gefragt?
Hat sie gemerkt, was ich ihr gerne sagte?
O hätt’ ich Mut! dürft’ ich Luisen sagen,
Was mich so still, was mich so tief beglückt!
O dürft’ ich fragen, was aus ihrem Auge
Oft so entzückend mir entgegenblickt!
Die Freundinnen an der Freundin Hochzeittage.
In deines Festes fröhliche Gesänge
Mischt sich ein trauter Ton aus alter Zeit,
Es lockt dich aus dem jubelnden Gedränge
Zurück noch einmal zur Vergangenheit;
Sie pochen schüchtern an der Pforte an,
Sie nahen dir, sie flüstern ihre Bitte
Und fragen freundlich: „Denkst du noch daran?“
Denkst du daran, wie wir uns einst gefunden
Es waren unsres Lebens Morgenstunden,
Vom Frührot reiner Freuden schön erhellt;
Der Schule Mühen, alle frohen Spiele
Und aller Jubel von der Kindheit Bahn,
Und fragen mit uns: „Denkst du noch daran?“
[33] Denkst du daran, wie an der Kindheit Grenzen
Uns eine schönre Freudenwelt empfing?
Wie uns ein Leben, voll Gesang und Tänzen,
Und wie auch ernste, deutungsvolle Tage
Des Lebens Ernst und Züge zeigten an?
Es war der Jugend Frühlingstag; o sage,
Die Schwestern bitten: „Denkst du noch daran?“
Die Myrte schmückt zum letztenmal dein Haar,
Du tändelst nicht mehr nach der Mädchen Weise,
Du nimmst jetzt Abschied von der Jungfraun Schar:
Doch, blickst du künftig ernst in unsern Reigen,
Denn die Erinnrung wird dir Bilder zeigen
Und lächelnd sagen: „Denkst du noch daran?“
Du denkst daran: und zum Gedächtnismale,
Als eine reine, jungfräuliche Zier,
Wir reichen sie mit frommen Wünschen dir.
So werden wir in deinem Herzen leben,
Denn siehst du einmal diese Schale an,
Dann wird dich die Erinnerung umschweben
Grabgesang.
Vor des Friedhofs dunkler Pforte
Bleiben Leid und Schmerzen stehn,
Dringen nicht zum heil’gen Orte,
Wo die sel’gen Geister gehn,
Unser Freund im Frieden ruht.
Zu des Himmels Wolkenthoren
Schwang die Seele sich hinan,
Fern von Schmerzen, neugeboren,
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 32–33. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_039.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)