Seite:De Wilhelm Hauff Bd 1 056.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

des Württembergers Schloß; in diesem müßt Ihr mir Bescheid thun: Kurzen Krieg, großen Sieg!“

Georg, dem dieses Gespräch nicht recht zusagte, suchte seinen Nachbar auf einen anderen Weg zu bringen, der ihn zu anziehenderen Nachrichten führen konnte: „Ihr habt“, sprach er, „schöne Mädchen hier in Ulm, wenigstens bei unserem Einzug glaubte ich deren viele zu bemerken.“

„Weiß Gott“, entgegnete der Ulmer, „man könnte damit pflastern.“

„Das wäre vielleicht so übel nicht“, fuhr Georg fort, „denn das Pflaster Eurer Straßen ist herzlich schlecht. Aber sagt mir, wer wohnt dort in dem Eckhaus mit dem Erker, wenn ich nicht irre, schauten dort zwei feine Jungfrauen heraus, als wir einritten.“

„Habt Ihr diese auch schon bemerkt?“ lachte jener, „wahrhaftig, Ihr habt ein scharfes Auge und seid ein Kenner. Das sind meine lieben Basen mütterlicherseits, die kleine Blonde ist eine Besserer, die andere ein Fräulein von Lichtenstein, eine Württembergerin, die auf Besuch dort ist.“

Georg dankte im stillen dem Himmel, der ihn gleich mit einem so nahen Verwandten Mariens zusammenführte. Er beschloß, den Zufall zu benützen, und wandte sich, so freundlich er nur konnte, zu seinem Nachbar: „Ihr habt ein paar hübsche Mühmchen, Herr von Besserer …“

„Dieterich von Kraft nenne ich mich“, fiel er ein, „Schreiber des Großen Rates –“

„Ein paar schöne Kinder, Herr von Kraft; und Ihr besuchet sie wohl recht oft?“

„Jawohl“, antwortete der Schreiber des Großen Rates, „besonders seit die Lichtenstein im Hause ist. Zwar will mein Bäschen Bertha etwas eifersüchtig werden, denn, im Vertrauen gesagt, wir waren vorher ein Herz und eine Seele, aber ich thue, als merke ich es nicht, und stehe mit Marien um so besser.“

Diese Nachricht mochte nicht so gar angenehm in Georgs Ohren klingen, denn er preßte die Lippen zusammen, und seine Wangen färbten sich dunkler.

[67] „Ja, lachet nur“, fuhr der Ratsschreiber fort, dem der ungewohnte Geist des Weines zu Kopfe stieg, „wenn Ihr wüßtet, wie sie sich beide um mich reißen. Zwar – die Lichtenstein hat eine verdammte Art, freundlich zu sein, sie thut so vornehm und ernst, daß man nicht recht wagt, in ihrer Gegenwart Spaß zu machen, noch weniger läßt sie ein wenig mit sich schäkern wie Bertha; aber gerade das kommt mir so wunderhübsch vor, daß ich elfmal wiederkomme, wenn sie mich auch zehnmal fortgeschickt hat. Das macht aber“, murmelte er nachdenklicher vor sich hin, „weil der gestrenge Herr Vater da ist, vor dem scheut sie sich, laßt nur den einmal über der Ulmer Markung sein, so soll sie schon kirre werden.“

Georg wollte sich nach dem Vater noch weiter erkundigen, als sonderbare Stimmen ihn unterbrachen. Schon vorher hatte er mitten durch das Geräusch der Speisenden diese Stimmen zu hören geglaubt, wie sie in schleppendem, einförmigem Ton ein paar kurze Sätze hersagten, ohne zu verstehen, was es war. Jetzt hörte er dieselben Stimmen ganz in der Nähe, und bald bemerkte er, welchen Inhaltes ihre eintönigen Sätze waren. Es gehörte nämlich in den guten alten Zeiten, besonders in Reichsstädten, zum Ton, daß der Hausvater und seine Frau, wenn sie Gäste geladen hatten, gegen die Mitte der Tafel aufstanden und bei jedem einzelnen umhergingen, mit einem herkömmlichen Sprüchlein zum Essen und Trinken zu nötigen.

Diese Sitte war in Ulm so stehend geworden, daß der hohe Rat beschloß, auch an diesem Mahl keine Ausnahme zu machen, sondern ex officio einen Hausvater samt Hausfrau aufzustellen, um diese Pflicht zu üben. Die Wahl fiel auf den Bürgermeister und den ältesten Ratsherrn.

Sie hatten schon zwei Seiten der Tafel „nötigend“ umgangen, kein Wunder, daß ihre Stimmen durch die große Anstrengung endlich rauh und heiser geworden waren und ihre freundschaftliche Aufmunterung wie Drohung klang. Eine rauhe Stimme tönte in Georgs Ohr: „Warum esset Ihr denn nicht, warum trinket Ihr denn nicht?“ Erschrocken wandte sich der Gefragte um und sah einen starken, großen Mann mit rotem Gesicht,

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 66–67. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_056.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)