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Sehnsucht oder stillem Gram nach den fernen blauen Bergen, den Grenzmauern von Württemberg.

Noch nie hatte sich Georg von Sturmfeder so unglücklich gefühlt als in diesen Stunden. Marie war mit ihrem Vater abgereist; sie hatte ihn noch einmal beschwören lassen, seinem Versprechen treu zu sein, und wie unglücklich machte ihn dieses Versprechen! Wohl hatte es ihn damals nicht geringen Kampf gekostet, es zu geben; aber der betäubende Schmerz des Abschiedes, der Gram des geliebten Mädchens hatten überwunden. Doch jetzt, wo er mit festerem Blicke seinen Umgebungen, seiner Zukunft ins Auge sah, wie traurig, wie schwierig erschien ihm seine Lage! Nichts davon zu sagen, daß alle seine goldenen Träume, alle jene kühnen Hoffnungen von Ruhm und Ehre mit einemmal verschwanden, nichts davon zu sagen, daß auch sein Ziel, das so nahe lag, Marien durch Kriegsdienste zu verdienen, ungewiß in die Weite hinausgerückt war, – er sollte auf die Gefahr hin, von Männern, deren Achtung ihm teuer war, verkannt zu werden, diese Fahnen verlassen, gerade in einem Augenblick, wo man der Entscheidung entgegenging. Von Tag zu Tag, so lange es ihm nur möglich war, verschob er diese Erklärung; wo sollte er Gründe, wo Worte hernehmen, vor dem alten, tapfern Degen Breitenstein, seinem väterlichen Freunde, seinen Abzug zu rechtfertigen; mit welcher Stirne sollte er vor den edlen Frondsberg treten? Ach, jene freundlichen Grüße, womit er den Sohn seines tapfern Waffengenossen zu freudigem Kampfe aufzumuntern schien, hatten ihn mit tausend Qualen gefoltert. An seiner Seite war sein Vater gefallen, er hatte gehört, wie der Sterbende den Ruhm seines Namens und ein leuchtendes Beispiel als einziges Erbe dem unmündigen Knaben zusandte; dieser Mann war es, der ihm jetzt so liebevoll die Schranken öffnete, und auch ihm mußte er in so zweideutigem Lichte erscheinen.

Er hatte sich unter diesen trüben Gedanken langsam dem Thore der Stadt genähert, als er sich plötzlich am Arm ergriffen fühlte; er sah sich um, ein Mann, dem Anschein nach ein Bauer, stand vor ihm.

[115] „Was willst du“, fragte Georg, etwas unwillig, in seinen Gedanken unterbrochen zu werden.

„Es kommt darauf an, ob Ihr auch der Rechte seid“, antwortete der Mann. „Sagt einmal, was gehört zu Licht und Sturm?

Georg wunderte sich ob der sonderbaren Frage und betrachtete jenen genauer. Er war nicht groß, aber kräftig; seine Brust war breit, seine Gestalt gedrungen. Das Gesicht, von der Sonne braun gefärbt, wäre flach und unbedeutend gewesen, wenn nicht ein eigener Zug von List und Schlauheit um den Mund und aus den grauen Augen Mut und Verwegenheit geleuchtet hätten. Sein Haar und Bart war dunkelgelb und gerollt; er trug einen langen Dolch im ledernen Gurt, in der einen Hand hielt er eine Axt, in der andern eine runde, niedere Mütze von Leder, wie man sie noch heute bei dem schwäbischen Landvolk sieht.

Während Georg diese flüchtigen Bemerkungen machte, wurden auch seine Züge lauernd beobachtet.

„Ihr habt mich vielleicht nicht recht verstanden, Herr Ritter“, fuhr jener nach kurzem Stillschweigen fort; „was paßt zu Licht und Sturm, daß es zwei gute Namen gibt?“

„Feder und Stein!“ antwortete der junge Mann, dem es auf einmal klar wurde, was unter jener Frage verstanden sei; „was willst du damit?“

„So seid Ihr Georg von Sturmfeder“, sagte jener, „und ich komme von Marien von –“

„Um Gotteswillen, sei still, Freund, und nenne keine Namen“, fiel Georg ein, „sage schnell, was du mir bringst.“

„Ein Brieflein, Junker!“ sprach der Bauer, indem er die breiten, schwarzen Kniegürtel, womit er seine ledernen Beinkleider umwunden hatte, auflöste und einen Streifen Pergament hervorzog.

Mit hastiger Freude nahm Georg das Pergament; es waren wenige Worte mit glänzendschwarzer Tinte geschrieben; den Zügen der Schrift sah man aber an, daß sie einige Mühe gekostet haben mochten, denn die Mädchen von 1519 waren nicht so flink mit der Feder, um ihre zärtlichen Gefühle auszudrücken, als die

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 114–115. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_080.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)