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„O, da braucht Ihr nicht mehr lange zu warten“, antwortete der Bote; „wenn sie morgen nicht aufbrechen, so ist es übermorgen, denn das Land ist offen bis ins Herz hinein. Ich darf Euch trauen, Junker, darum sag’ ich Euch dies.“

„Ist es denn wahr, daß die Schweizer abgezogen sind“, fragte Georg, „und daß der Herzog keine Feldschlacht mehr liefern kann?“

Der Bote warf einen lauernden Blick im Zimmer umher, öffnete behutsam die Thüre, und als er sah, daß kein Lauscher in der Nähe sei, begann er:

„Herr! ich war bei einem Auftritt, den ich nie vergesse, und wenn ich neunzig Jahre alt werde! Schon unterwegs waren mir auf der Alb große Scharen der heimziehenden Schweizer begegnet; ihre Räte und Landammänner hatten sie heimgerufen; bei Blaubeuren standen aber noch über achttausend Mann, jedoch lauter gute Württemberger und nichts andres d’runter.“

„Und der Herzog“, unterbrach ihn Georg, „wo war denn dieser?“

„Der Herzog hatte in Kirchheim zum letztenmal mit den Schweizern unterhandelt, aber sie zogen ab, weil er sie nicht bezahlen konnte[Hauff 1]. Da kam er gen Blaubeuren, wo sich sein Landvolk gelagert hatte. Gestern morgen wurde durch Trommelschlag bekannt gemacht, daß sich bis neun Uhr alles Volk auf den Klosterwiesen einstellen solle. Es waren viele Männer, die dort versammelt waren, aber jeder dachte ein und dasselbe. Seht, Junker, der Herzog Ulerich ist ein gestrenger Herr und weiß den Bauer nicht für sich zu gewinnen. Die Steuern sind hart, der Jagdfrevel ist scharf und grausam, am Hof aber wird verpraßt, was man uns genommen hat. Aber wenn ein solcher Herr im Unglück ist, da ist es gleich ein anderes Ding. Jetzt fiel uns allen nur ein, daß er ein tapferer Mann und unser unglücklicher Herzog sei, dem man wolle das Land mit Gewalt entreißen. Es ging ein Gemurmel unter uns, daß der Herzog wolle eine Schlacht liefern, und jeder drückte das Schwert fester in der Hand, grimmig schüttelten sie ihre Speere und riefen den Bündlern Verwünschungen zu. Da kam der Herzog –“

[123] „Du sahst den Herzog, du kennst ihn?“ rief Georg neugierig, „o sprich, wie sieht er aus?“

„Ob ich ihn kenne?“ sagte der Bote mit sonderbarem Lächeln, „wahrhaftig, ich sah ihn, als es ihm nicht wohl war, mich zu sehen. Der Herr ist noch ein junger Mann, wenn es viel ist, ist er zweiunddreißig Jahr. Er ist stattlich und kräftig, und man sieht ihm an, daß er die Waffen zu führen weiß. Augen hat er wie Feuer, und es lebt keiner, der ihm lange hineinschaute. – Der Herzog trat in den Kreis, den das bewaffnete Volk geschlossen hatte, und es war Totenstille unter den vielen Menschen. Mit vernehmlicher Stimme sprach er, daß er sich, also verlassen, nimmer zu helfen wüßte[Hauff 2]. Diejenigen, worauf er gehofft, seien ihm benommen, seinen Feinden sei er ein Spott; denn ohne die Schweizer könne er keine Schlacht wagen. Da trat ein alter, eisgrauer Mann hervor, der sprach: ‚Herr Herzog! habt Ihr unsern Arm schon versucht, daß Ihr die Hoffnung aufgebt? Schaut, diese alle wollen für Euch bluten; ich habe Euch auch meine vier Buben mitgebracht, hat jeder einen Spieß und ein Messer, und so sind hier viele Tausend; seid Ihr des Landes so müde, daß Ihr uns verschmäht?‘ Da brach dem Ulerich das Herz; er wischte sich Thränen aus dem Auge und bot dem Alten seine Hand. ‚Ich zweifle nicht an eurem Mut‘, sprach er mit lauter Stimme. ‚Aber wir sind unserer zu wenig, so daß wir nur sterben können, aber nicht siegen. Geht nach Haus, ihr guten Leute, und bleibet mir treu. Ich muß mein Land verlassen und im bitteren Elend sein. Aber mit Gottes Hülfe hoffe ich auch wieder hereinzukommen.‘ So sprach der Herzog, unsere Leute aber weinten und knirschten mit den Zähnen und zogen ab in Trauer und Unmut[Hauff 3].“

„Und der Herzog?“ fragte Georg.

„Von Blaubeuren ist er weggeritten, wohin, weiß man nicht. In den Schlössern aber liegt die Ritterschaft, sie zu verteidigen, bis der Herzog vielleicht andere Hülfe bekommt.“

Der alte Johann unterbrach hier den Boten und meldete, daß der Junker auf zwei Uhr in den Kriegsrat beschieden sei, der in Frondsbergs Quartier gehalten werde. Georg war nicht wenig erstaunt über diese Nachricht; was konnte man von ihm

Anmerkungen (Hauff)

  1. [166] Sie zogen den 17. März ab. Der Herzog reiste sogleich nach Kirchheim, um sie aufzuhalten, allein hier kam eine zweite Order, unter Bedrohung des Verlustes ihrer Güter und der Leib- und Lebensstrafe nach Haus zu eilen. Sattler II, § 6. Thethinger pag. 66. Interim cum Helvetiorum primoribus agunt foederati, missis in urbes eorum legatis, ne Ducis Huldrichi negotio belloque se nunc immisceant, suos abscedere jubeant.
  2. [166] Sattler, § 6. Ausführlich führt diese Rede an: Thethinger comment. de reb. Würtemb. p. 66.
  3. [166] Diese Ergebenheit und Treue der Württemberger beschreibt am angeführten Ort Thethinger. Als einen sehr wichtigen Grund gegen die Angriffe Huttens führt sie auch Nicolaus Barbatus in seiner zu Marburg gehaltenen Rede auf. Vgl. Schardius II, 386. Wir machen auf diesen Umstand besonders aufmerksam, weil man gewöhnlich annimmt, es sei den Württembergern recht gewesen, daß man Ulerich verjagte; Thethingers Worte sind: „Als dies die Württemberger hörten, beklagten sie ihr Schicksal heftig, das ihnen nicht vergönne zu fechten. – Magno fremitu fortunam suam questi.“ – Noch merkwürdiger sind die Worte Nicolai Barbati; er sucht die Beschuldigungen Ulerichs von Hutten zu widerlegen: „Welcher Tyrann war den Seinigen wert? Ulerich lieben die Seinigen. Welcher Tyrann wird, wenn er verjagt ist, von seinen Untergebenen zurückgewünscht? Mit Bitten und Gebet wünschen sich seine Untergebenen den Herzog zurück und bitten die Götter, sie möchten ihnen den Herrn zurückgeben, u. s. w.“
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 122–123. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_084.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)