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sein müsse, weil er ihn in sein Haus aufgenommen und wie einen Sohn gepflegt hatte, so glaubte sie doch diesen letzten Dienst ihrem Gast nicht abschlagen zu dürfen; doch machte sie die Bedingung, daß Bärbele vorausgehen und ihn eine Viertelstunde hinwärts an einem Markstein erwarten müsse.

Georg nahm gerührt Abschied von der stattlichen, runden Frau, die ihm zu Ehren heute noch einmal in ihrem Sonntagsstaat prangte; er hatte in den geschnitzten Schrank einen Goldgulden gelegt, ein wichtiges Geschenk für die damalige Zeit und eine bedeutende Summe für die Reisekasse Georgs von Sturmfeder. Der Pfeifer von Hardt soll übrigens nie etwas von diesem Depositum erfahren haben; sei es nun, daß die gute, runde Frau den Goldgulden nicht gefunden hat, oder daß sie ihrem Eheherrn nichts davon berichtete, aus Angst, er möchte den Junker durch die Rückgabe des Geschenkes beleidigen. Nur so viel ist gewiß, daß die Frau des Spielmanns kurze Zeit nach diesem Vorfall mit einem nagelneuen Rock in der Kirche erschien, zur Verwunderung aller Weiber in der Gegend, und daß ihre Tochter Bärbele ein schönes Mieder von feinem Tuch mit Goldborden auf der nächsten Kirchweihe trug, das man früher nie an ihr gesehen. Auch soll sie jedesmal errötet sein, wenn die Mädchen das neue Mieder befühlten und lobten. Welch großen Staat konnte man in den guten Zeiten um einen Goldgulden machen!

Georg traf seine Führerin auf dem bezeichneten Markstein sitzen. Sie sprang auf, als er herankam, und ging mit raschen Schritten neben ihm her. Das Mädchen kam ihm heute noch viel hübscher vor als gestern. Ihre Wangen hatte der frische Aprilmorgen mit hohem Rot bedeckt, und ihre Augen glänzten freundlich. Ihre Tracht eignete sich ganz gut zu einem weiten Marsch, denn das kurze Röckchen hinderte den Fuß nicht, flink auszuschreiten. Sie hatte ein Körbchen an den Arm gehängt, als wolle sie zu Markt in die Stadt gehen. Sie trug aber weder Gemüs’ noch Früchte darin, was sie wohl sonst in die Stadt zu bringen pflegte, sondern ein Regentuch, mit dem sie sich gegen die wechselnden Launen eines Apriltages versehen hatte. Der Junker dachte bei sich, als sie so schmuck und rüstig neben ihm hinging, daß das [193] Mädchen wohl einmal eine gute, tüchtige Hausfrau zu werden verspreche, und pries den jungen Burschen glücklich, der einst das Kleinod des Spielmannes von Hardt für sich gewinnen werde.

Sie hatte unstreitig viel von dem lebhaften Geiste ihres Vaters geerbt. Denn, wie auch jener bei der Reise über die Alb seinem vornehmen Gefährten durch Erzählungen und Hindeutungen auf die Gegend den Weg zu verkürzen bemüht gewesen war, so wußte auch sie, so oft das Gespräch zu stocken begann, entweder auf einen schönen Punkt in den Thälern und Bergen umher aufmerksam zu machen, oder sie teilte ihm unaufgefordert eine und die andere Sage mit, die sich an ein Schloß, an ein Thal oder einen Bach knüpften.

Sie wählte meistens Nebenwege und führte den Reiter höchstens zwei- bis dreimal durch Dörfer, von zwei zu zwei Stunden aber machten sie Halt. Endlich nach vier solchen Stationen sah man in der Entfernung von einer kleinen halben Stunde ein Städtchen liegen; der Weg schied sich hier, und ein Fußpfad führte links ab in ein Dorf. An diesem Scheidepunkt blieb das Mädchen stehen und sagte: „Was Er dort sehet, ist Pfullinga, von dort kann Ich jedes Kind da Weg nach Lichtastoi zeiga.“

„Wie? du willst mich schon verlassen?“ fragte Georg, der sich an die munteren, sinnigen Reden seiner Begleiterin so gewöhnt hatte, daß ihn der Abschied überraschte; „warum gehst du nicht wenigstens mit mir bis Pfullingen? Dort kannst du in der Herberge etwas essen und trinken; du willst doch nicht geradezu nach Haus laufen?“

Das Mädchen suchte freundlich auszusehen und zu scherzen, doch konnte sie einen schmerzlichen Zug um den Mund und trübe Augen nicht verbergen; denn wohl mochte auch ihr die Nähe ihres schönen Gastes teurer geworden sein, als sie vielleicht selbst wußte. „Do mueß i von Ich geh, gnädiger Herr“, sagte sie, „so gerne au no weiters mitging; aber d’Mueter will’s so; dort in dem Dörfle am Berg hanne a Baas, und bei der bleibe heut, und morga gange wieder noch Hardt. Jetzt b’hüet Ich Gott der Herr und d’heilig Jungfrau und älle seine Heilige nemmet Ich in Schutz. Grüeßet mer de Vater und au“, setzte sie lächelnd hinzu, indem sie schnell

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 192–193. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_119.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)