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Hand und lobten sein Lied. Der Hagere sprach kein Wort, sondern warf finstere Blicke auf die Gesellschaft; man war ungewiß, ob er den Beifall des Zerlumpten beneidete, oder ob der Gegenstand des Liedes ihn beleidigte. Der fette Herr aber sah ungemein klug aus, brummte die Weise des Liedes mit und nickte bei jeder Kraftstelle mit dem Haupt.

Der Sänger mit dem ledernen Rücken fuhr fort:

„Den Saymer[1] von Kempten ich euch meld’
Und Holzhauer von dem Herdtfeld
Und andere, die ich nit nennen will,
Der Haufen ist groß und wird gar zu viel.

Und auch der ist in dem Strauß’,
Der richt’ alles mit Ungeld aus,
Ich mein’ Junker Ermlich und sein Gesind’
Des reichen Barchetwebers Kind.“

„Daß Euch der Kuckuck in den Hals fahr! Ihr Lumpenhund!“ fuhr der lange Mann auf, als er die letzten Worte hörte. „Ich weiß wohl, wen Ihr mit dem Barchetweber meint; meinen gnädigen Gönner, den Herrn von Fugger. Den soll mir ein solcher Landläufer verunglimpfen?“ Er begleitete diese Worte mit einem ausdrucksvollen Mienespiel und mit schrecklicher Gebärde.

Doch der mit dem ledernen Rücken ließ sich nicht einschüchtern; er stellte seine ungemein muskulöse Faust vor sich hin und sagte: „Den Landläufer könnt Ihr für Euch behalten, Herr Calmus, man weiß wohl, wer Ihr seid; und wenn Ihr nicht augenblicklich Euer Maul haltet, so will ich Euch Eure Rührlöffelarme vom Leib schlagen.“

Der Hagere stand auf und bedauerte sich selbst, daß er in so gemeine Gesellschaft geraten sei; er zahlte seinen Wein und ging vornehmen Schrittes aus der Trinkstube.




[203]

IV.


 „Weh’ mir, ich habe die Natur verändert.
 Wie kommt der Argwohn in die freie Seele?
 Vertrauen, Glaube, Hoffnung ist dahin.
 Denn alles log mir, was ich hochgeachtet.“
 Schiller.[2]


Als dieser Mann das Zimmer verlassen hatte, sahen die Gäste erstaunt einander an; es war ihnen zu Mut, als hätten sie ein schweres Gewitter aufsteigen sehen, es hätte gekracht, als ob die Erde bersten wollen, ja, als wäre ein erschrecklicher, tötender Blitz auf sie herabgefahren, und siehe da, es war nur ein „kalter Schlag“. Dem Mann mit dem Lederrücken dankten sie, daß er den ungezogenen, übermütigen Gast so schnell entfernet habe, und fragten, was er wohl von dem hageren Fremden wisse?

„Den kenne ich wohl“, antwortete dieser, „das ist unseres Herrgotts Tagdieb, ein fahrender Arzt, der den Leuten Pillen verkauft gegen die Pest, den Hunden den Wurm schneidet und die Ohren stutzt, die Mädchen von dicken Hälsen befreit und den Weibern Augenwasser gibt, daß sie blind werden. Er heißt eigentlich Kahlmäuser, aber weil er ein Gelehrter sein will, heißt er sich Doktor Calmus. Er nistet sich bei allen großen Herren ein, und wenn ihn einer einmal einen Esel geheißen hat, so meint er schon, er sei sein bester Freund.“

„Mit dem Herzog muß er aber nicht gut stehen“, bemerkte der schlaue Herr, „denn er hat doch lästerlich über ihn geschimpft.“

„Ja, mit Herrn Ulerich steht er freilich nicht gut; das ging aber so; der Herzog hatte einen schönen dänischen Jagdbund, der hatte sich im Schönbuch einen Dorn tief in die Pfote getreten. Den Herzog dauerte der Hund, er forschte nach einem geschickten Mann, der das Tier heilen könnte, und zufällig war der Kahlmäuser da und bot sich mit wichtigem Gesicht dazu an. Er bekam im Schloß in Stuttgart alle Tage gut zu essen und ein Maß Wein; das schmeckte ihm nun so gut, daß er über ein Vierteljahr an der Hundspfote dokterte. Da ließ ihn eines Tages der Herzog samt dem Hund rufen und fragte, was er ausgerichtet habe. Er soll viel


  1. D. i. Führer von Saumtieren oder Frachtwagen.
  2. „Wallensteins Tod“, 2. Aufzug, 7. Auftritt.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 202–203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_124.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)