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sich zum Abendsegen rüsten, als der fremde Herr aus seinem Zustand erwachte. Er sprang auf, machte einige Gänge durchs Zimmer und blieb endlich vor der Hausfrau stehen. Er sah düster und verstört aus, und die wenigen Stunden vom Mittag bis jetzt, hatten seinen sonst so freundlichen offenen Zügen tiefe Spuren des Grames eingedrückt.

Die Wirtin dauerte sein Anblick, sie wollte ihm, eingedenk des klugen, fetten Herrn, noch ein heilsames Süpplein kochen und ihm dann ein treffliches, weiches Bett anweisen; doch er schien für diese Nacht ein rauheres Lager sich erwählt zu haben.

„Wann sagt Ihr“, hub er mit leiser, unsicherer Stimme an, „wann geht der nächtliche Gast nach Lichtenstein, und wann kommt er zurück?“

„Um eilf Uhr, lieber Herr, geht er hinein und um den ersten Hahnenschrei kommt er wieder über die Zugbrücke.“

„Lasset mein Pferd satteln und besorget mir einen Knecht, der mich nach Lichtenstein geleite.“

„Jetzt in der Nacht?“ rief die Wirtin und schlug vor Verwunderung die Hände zusammen. „Jetzt wollet Ihr ausreiten? Ei, geht doch, Ihr treibt Spaß mit mir.“

„Nein, gute Frau, es ist mein wahrer Ernst; aber sputet Euch ein wenig, ich habe Eile.“

„Die habt Ihr den ganzen Tag nicht gehabt“, entgegnete jene, „und jetzt wollt Ihr auf einmal über Hals und Kopf in die Nacht hinaus. Zwar die frische Luft kann nichts schaden bei solchen Kranken; aber weiß Gott, Euer Pferd lasse ich nicht aus dem Stall, Ihr könnt mir herunterfallen oder allerlei Unglück anrichten, und dann hieße es, wo hat denn die Hirschwirtin wieder den Kopf gehabt, daß sie die Leute so laufen läßt.“

Der junge Mann hatte ihre Rede ganz überhört, denn er war wieder in sein düsteres Sinnen zurückgesunken; als sie aufhörte zu sprechen, schrak er auf und wunderte sich, daß sie seinen Befehl noch nicht befolgt habe.

Er ging, als sie noch immer zauderte, um sein Pferd selbst zu besorgen; da gedachte sie, daß sie doch keine Gewalt habe, ihn [213] zurückzuhalten, und daß es geratener sein möchte, ihn ziehen zu lassen. „Lasset dem Herrn seinen Braunen herausführen“, rief sie, „und der Andres soll sich rüsten, heute nacht noch ein Stück Weges zu gehen! – Er hat recht, daß er jemand mitnehmen will“, sprach sie für sich weiter, „der kann ihn doch im Notfall halten; zwar sagt man, sie haben ein paar Sinne mehr, wenn sie etwas im Kopf haben, und es falle keiner so leicht vom Pferd, wenn er auch hin- und herschwankt wie der Schwingel in der großen Glocke, aber besser ist besser. – Was Ihr schuldig seid, Herr Ritter? nun Ihr habt gehabt eine Maß Alten, macht zwölf Kreuzer, und das Essen – nun, es ist nicht der Rede wert, was Ihr gegessen habt; Ihr habt ja mein Huhn kaum angesehen. Nun, wenn Ihr für den Stall und das Essen noch zwei Kreuzer zulegen wollt, so wird Euch eine arme Witfrau schön danken.“

Nachdem die Rechnung in dem niederen Münzfuß der guten, alten Zeiten berichtigt war, entließ die Wirtin zum Goldenen Hirsch ihren Gast; sie war ihm zwar nicht mehr so gewogen wie heute mittag, als er herrlich wie der junge Tag in ihre Trinkstube getreten war, aber dennoch konnte sie sich nicht verhehlen, als er beim Schein der Kienfackeln sich aufs Pferd schwang, daß sie nicht leicht einen schöneren Mann gesehen habe, und sie schärfte daher ihrem Knecht, der ihn begleitete, um so sorgfältiger ein, recht genau auf ihn acht zu haben, weil es bei diesem Herrn „doch nicht ganz richtig im Kopfe sei“.

Vor dem Thor von Pfullingen fragte der Knecht den nächtlichen Reiter, wohin er reiten wolle; und auf seine Antwort „Nach Lichtenstein!“ schlug er einen Weg rechts ein, der zum Gebirge führte. Der junge Mann ritt schweigend durch die Nacht hin; er sah nicht rechts, er sah nicht links, er sah nicht auf nach den Sternen, nicht hinaus in die Weite, seine gesenkten Blicke hafteten am Boden. Es war ihm wie damals, als ihn die Mörder am Wege niedergeschlagen hatten, seine Gedanken standen stille, er hoffte nicht mehr, er hatte zu leben, zu lieben und zu wünschen aufgehört. Und doch war ihm damals wohler gewesen, als ihm auf dem kühlen Teppich des Wiesenthales die Besinnung schwand, er war ja entschlummert mit dem erhebenden Gedanken an sie,

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 212–213. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_129.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)