Seite:De Wilhelm Hauff Bd 1 154.jpg

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Frau Rosel kämpfte zwischen guter und böser Laune. Es that ihr wohl, daß man sie brauche, daß man Stillschweigen von ihr erbitten müsse; auf der andern Seite war sie noch unwill darüber, daß das Fräulein in neuerer Zeit so wenig Vertrauen in sie gesetzt habe. Sie murmelte daher nur einige unverständliche Worte vor sich hin, indem sie die Stühle wieder an die Wände stellte, die Becher von dem Tisch nahm und die Flecken abwischte, die der Wein auf der Schieferplatte, womit der Tisch eingelegt war, zurückgelassen hatte. Marie gab Georg, der sich an ein Fenster gestellt hatte und noch nicht völlig mit sich und der Geliebten ausgesöhnt schien, einen Wink, den er nicht unbeachtet ließ. Ihm selbst war viel daran gelegen, daß Mariens Vater noch nichts um ihre Liebe wußte, er fürchtete, jener möchte es als einziges Motiv seines Übertritts zu Württemberg ansehen, er möchte ihn darum weniger günstig beurteilen, als er bisher gethan. Dies erwägend, näherte sich Georg der alten Frau Rosel; er klopfte ihr traulich auf die Schultern, und ihre Züge hellten sich zusehends auf. „Man muß gestehen“, sagte er freundlich, „Frau Rosalie hat eine schöne Haube; aber dies Band paßt doch wahrlich nicht dazu, es ist alt und verschossen.“

„Ei was!“ sagte die Alte etwas ärgerlich, denn sie hatte sich wohl auf eine freundlichere Rede gefaßt gemacht, „was kümmert Euch meine Haube, ein jeder fege vor seiner Thür. ‚Sieh auf dich und auf die Deinen, darnach schilt mich und die Meinen.‘ Ich bin ein armes Weib und kann nicht Staat machen wie eine Reichsgräfin. ‚Wenn alle Leute wären gleich, und wären alle sämtlich reich, und wären all’ zu Tisch gesessen, wer wollt’ auftragen Trinken und Essen?‘“

„Nun, so habe ich’s nicht gemeint“, sagte Georg besänftigend, indem er eine Silbermünze aus seinem Beutelein zog; „aber mir zu Gefallen ändert Frau Rosalie schon ihr Band; und daß meine Forderung nicht gar zu unbillig klingt, wird sie diesen Dickthaler nicht verschmähen!“

Wer hat nicht an einem Oktobertag trotz Sturm und Wolken die Sonne durchdringen und Gewölk und Nebel verjagen sehen? So ging es auch am Horizont der Frau Rosel freundlich auf. Die [263] artige Weise des Junkers, ihr Lieblingsname Rosalie, der ihr viel wohltönender dünkte als das verdorbene Rosel, und endlich der Dickthaler mit dem Krauskopf des Herzogs und dem Wappen von Teck – wie konnte sie so vielen Reizen widerstehen? „Ihr seid doch der alte freundliche Junker!“ sagte sie, indem sie, sich tief verneigend, den Thaler in die ungeheure lederne Tasche an ihrer Seite gleiten ließ und den Saum von Georgs Mantel zum Munde führte. „Gerade so wußtet Ihr es in Tübingen zu machen. Stand ich am Jörgenbrunnen, ging ich von der Burgsteig hinab auf den Markt, richtig rief es hinter mir: ‚Guten Morgen, Frau Rosalie, und wie geht es dem Fräulein?‘ und wie oft und reich habt Ihr mich dort beschenkt; wenigstens zwei Dritteile von dem Rock, den ich hier trage, verdank ich Eurer Gnade!“

„Laß das, gute Frau“, unterbrach sie Georg. „Und was den Herrn betrifft, so wirst du –“

„Was meint Ihr!“ erwiderte sie, indem sie die Augen halb zudrückte. „Habe Euch in meinem Leben nicht gesehen. Nein, da könnt Ihr Euch drauf verlassen. ‚Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß‘, und ‚Was mich nicht brennt, das blase ich nicht!‘“

Sie verließ bei diesen Worten das Zimmer und stieg in den ersten Stock hinab, um dort in der Küche ihr Regiment zu verwalten.

Dankbar und freudig zog sie den Thaler aus der Ledertasche und besah ihn hin und her; sie pries bei sich die Freigebigkeit des wackern Junkers und bedauerte ihn im stillen, daß seine Liebe so schlecht vergolten werde, denn daß es ihr Fräulein mit einem andern habe, war ihr ausgemachte Sache. Vor der Küche stand sie gedankenvoll still. Sie war im Zweifel mit sich, ob sie der Sache ihren Lauf lassen solle, oder ob es nicht besser wäre, dem Junker einige Winke über den nächtlichen Besucher zu geben. „Doch, kommt Zeit, kommt Rat, vielleicht sieht er es selbst und braucht mich nicht dazu. Überdies – ‚Ein Rater in zweier Feinde Mitten, kann es leicht mit beiden verschütten‘; man kann warten und zusehen, denn ‚Hitz’ im Rat, Eil’ in der That, gebären nichts als Schad’‘. ‚Wer will haben gute Ruh’, der seh’ und hör’ und – schweig’ dazu!‘“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 262–263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_154.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)