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ab, und nur zu leicht wird er mißtrauisch; deswegen konnten wir ihm nicht sehr zureden, wegzugehen, er hätte glauben können, wir thun es nur wegen uns. Sein Hauptgrund, zu bleiben, ist, daß er sich gleich mit dem Vater beraten will, sobald er Nachricht bekommt.“

Sie waren während dieser Reden an die Thüre der Herrenstube gekommen, Marie schloß so leise als möglich auf und trat mit Georg ein.

Die Herrenstube unterschied sich von dem großen Gemach im oberen Stock nur dadurch, daß sie kleiner war. Auch sie hatte die Aussicht nach drei Seiten, durch Fenster mit kleinen runden Scheiben, durch welche sich die Morgensonne in vielfarbigen Strahlen brach. Decke und Wände umzog ein Getäfer von schwarzbraunem Holz mit farbigen Hölzern kunstreich ausgelegt. Einige Ahnenbilder der Lichtensteiner schmückten die Wand, welche kein Fenster hatte, und Tische und Gerätschaften zeigten, daß der Ritter von Lichtenstein ein Freund alter Sitten und Zeiten sei und seinen Hausrat, wie er ihn vom Großvater empfangen hatte, auch auf die Tochter vererben wolle. Vor einem großen Tisch in der Mitte des Zimmers saß der Herr des Schlosses. Er hatte sein Kinn und den langen Bart auf die Hand gestützt und schaute finster und regungslos in einen Becher, der vor ihm stand. Die Weinkannen und Deckelkrüge auf dem Tisch, der Becher vor dem alten Herrn machte, daß man ungewiß war, ob er die Nacht beim Becher zugebracht habe oder ob er so frühe am Tage sich durch einen guten Trunk Kräfte sammeln wolle.

Er grüßte seinen jungen Gast, als dieser an den Tisch zu ihm getreten war, durch ein leichtes Neigen des Hauptes, indem ein kaum bemerkliches Lächeln um seinen Mund zog. Er wies auf einen Becher und an einen Stuhl zu seiner Seite; Marie verstand den Wink, schenkte einen Becher voll und kredenzte ihn dem Geliebten mit jener holden Anmut, die allem, was sie that, einen eigentümlichen Stempel aufdrückte. Georg setzte sich an die Seite des Alten und trank.

Dieser rückte ihm näher und flüsterte ihm mit heiserer Stimme zu: „Ich fürchte, es steht schlimm!“

[277] „Habt Ihr Nachricht?“ fragte Georg ebenso heimlich.

„Ein Bauer sagte mir heute frühe, gestern abend haben die Tübinger mit dem Bunde gehandelt.“

„Gott im Himmel!“ rief Georg unwillkürlich aus.

„Seid still und weckt ihn nicht! er wird es nur zu frühe erfahren“, entgegnete ihm jener, indem er auf die andere Seite der Stube deutete.

Georg sah dorthin. An einem Fenster der Seite, die gegen den jähen Abgrund liegt, saß der geächtete Mann. Er hatte den Arm auf den Sims gestützt, die sorgenvolle Stirne, das von Wachen müde Auge lag in der tapferen Hand – – er schlummerte. Sein grauer Mantel war über die Schulter herabgefallen und ließ ein abgetragenes, unscheinbares Lederkoller sehen, in das die kräftige Gestalt gehüllt war. Sein krauses Haar fiel nachlässig um die Schläfe, und einige Büsche des gerollten Bartes quollen unter der Hand hervor.

Zu seinen Füßen lag sein großer Hund; er hatte seinen Kopf auf den Fuß seines Herrn gelegt, seine treuen Augen hingen teilnehmend an dem Haupt des Geächteten.

„Er schläft“, sagte der Alte und zerdrückte eine Thräne in den Augen; „die Natur fordert die Schuld an dem Körper und umhüllt die Seele mit einem wohlthätigen Schleier. Er atmet leicht; o, daß es beruhigende Träume wären, die ihm vorschweben; die Wirklichkeit ist so traurig, wer sollte ihm nicht wünschen, daß er sie im Traume vergißt!“

„Es ist ein hartes Schicksal!“ erwiderte Georg, indem er wehmütig auf den Schlafenden blickte. „Vertrieben von Haus und Hof, geächtet, in die Wüste hinausgejagt! Sein Leben jedem Buben preisgegeben, der in der Ferne seinen Bolz auf ihn anlegt; bei Tag unter der Erde, bei Nacht wie ein Dieb umherschleichen zu müssen; wahrlich es ist hart! Und dies alles, weil er seinem Herrn treu war und jene Bündler nach seinen Gütern gelüsteten.“

„Der Mann dort hat manches verfehlt in seinem Leben“, sprach der Ritter von Lichtenstein mit tiefem Ernst; „ich habe ihn beobachtet seit den Tagen seiner Kindheit bis zu dieser Stunde; ich kann ihm das Zeugnis geben, er hat das Gute und Rechte

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 276–277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_161.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)