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an. Der Geächtete wollte noch etwas hinzusetzen, als der alte Burgwart mit wichtiger Miene hereintrat. „Es sind zwei Krämer vor der Burg“, meldete er, „und begehren Einlaß.“

„Sie sind’s, sie sind’s“, riefen in einem Augenblick der Geächtete und Lichtenstein. „Führ sie herauf.“

Der alte Diener entfernte sich; eine bange Minute folgte dieser Meldung; alle schwiegen, der Ritter von Lichtenstein schien mit seinen feurigen Augen die Thüre durchbohren, der Geächtete seine Unruhe verbergen zu wollen, aber die schnelle Röte und Blässe, die auf seinen ausdrucksvollen Zügen wechselte, zeigten, wie die Erwartung dessen, was er hören werde, sein ganzes Wesen in Aufruhr brachte. Endlich vernahm man Schritte auf der Treppe, sie näherten sich dem Gemach; der gewaltige Mann zitterte, daß er sich am Tisch halten mußte, seine Brust war vorgebeugt, sein Auge hing starr an der Thüre, als wolle er in den Mienen des Kommenden sogleich Glück oder Unglück lesen – jetzt ging die Thüre auf.





XI.


 „– – Wie du nun so ganz
 Verlassen da stehst und so ganz entblößt,
 Und wie nun ich, dein einz’ger Lehensmann,
 Der einz’ge bin, der dich noch Herzog nennt,
 Und wie nun mir allein die Ehre bleibt,
 Dir Dienst zu leisten bis zum letzten Hauch.“
 L. Uhland.[1]


Auch Georg hatte erwartungsvoll hingesehen. Er musterte mit schnellem Blick die Eintretenden; in dem einen erkannte er sogleich den Pfeifer von Hardt, der andere war – jener Krämer, den er in der Herberge von Pfullingen gesehen hatte. Der letztere warf seinen Pack, den er auf dem Rücken getragen, ab, riß das Pflaster weg, womit er ein Auge bedeckt hatte, richtete sich aus seiner gebückten Stellung auf und stand nun als ein untersetzter, starkgebauter Mann, mit offenen, kräftigen Zügen vor ihnen.

[281] „Marx Stumpf!“ rief der Geächtete mit dumpfer Stimme, „wozu diese finstere Stirne? Du bringst uns gute Botschaft! nicht wahr, sie wollen uns das Pförtchen öffnen, sie wollen mit uns aushalten bis auf den letzten Mann?“

Marx Stumpf von Schweinsberg warf einen bekümmerten Blick auf ihn. „Machet Euch auf Schlimmes gefaßt, Herr!“ sagte er. „Die Botschaft ist nicht gut, die ich bringe.“

„Wie“, entgegnete jener, indem die Röte des Zornes über seine Wangen flog und die Ader auf seiner Stirne sich zu heben begann; „wie, du sagst, sie zaudern, sie schwanken? Es ist nicht möglich; sieh’ dich wohl vor, daß du nichts Übereiltes sagst; es ist der Adel des Landes, von dem du sprichst.“

„Und dennoch sage ich es“, antwortete Schweinsberg, indem er einen Schritt weiter vortrat; „im Angesicht vor Kaiser und Reich will ich es sagen, sie sind Verräter.“

„Du lügst!“ schrie der Vertriebene mit schrecklicher Stimme. „Verräter, sagst du? du lügst. Wie wagst du es, vierzig Ritter ihrer Ehre zu berauben? Ha! gestehe, du lügst.“

„Wollte Gott, ich allein wäre ein Ritter ohne Ehre, ein Hund, der seinen Herrn verläßt. Aber alle vierzig haben ihren Eid gebrochen, Ihr habt Euer Land verloren, Herr Herzog! Tübingen ist über.“

Der Mann, dem diese Rede galt, sank auf einen Stuhl am Fenster; er bedeckte sein Gesicht mit den Händen, seine Brust hob und senkte sich, als suche sie vergeblich nach Atem, und seine Arme zitterten.

Die Blicke aller hingen gerührt und schmerzlich an ihm. Vor allen Georgs, denn wie ein Blitz hatte der Name des Herzogs das Dunkel erhellt, in welchem ihm bisher dieser Mann erschienen war. Er war es selbst, es war Ulerich von Württemberg! In einem schnellen Fluge zog es an seiner Seele vorüber, wie er diesen Gewaltigen zuerst getroffen, wie er ihn tief in der Erde Schoß besuchte, welche Worte jener zu ihm gesprochen, wie sein ganzes Wesen ihn schon damals überrascht und angezogen hatte; es war ihm unbegreiflich, daß er nicht längst schon von selbst auf diese Entdeckung gekommen war.


  1. „Ernst, Herzog von Schwaben“. 2. Aufzug, gegen Ende.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 280–281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_163.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)