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Leser die Thüre vor der Nase zuzuwerfen und das Buch zu schließen. Auch wir hätten mit den herrlichen Reigen im Schlosse zu Stuttgart schließen oder den Leser mit dem Fackelzug des Bräutigams aus dem Buche hinausbegleiten können, aber die höhere Pflicht der Wahrheit und jenes Interesse, das wir an einigen Personen dieser Historie nehmen, nötigt uns, den geneigten Leser aufzufordern, uns noch einige wenige Schritte zu begleiten und den Wendepunkt eines Schicksals zu betrachten, das in seinem Anfang unglücklich, in seinem Fortgang günstiger, durch seine eigene Notwendigkeit sich wieder in die Nacht des Elends verhüllen mußte.

Das Motto, womit wir diesen Abschnitt bezeichneten, ist eine Geisterstimme, die warnend durch die Weltgeschichte tönt, die von vielen vernommen, von den meisten überhört, von wenigen befolgt wurde; zu allen Zeiten ging ein finsterer Geist durch das Haus der Erde, man vernahm oft sein Rauschen, man suchte es durch die Töne der Freude zu übertäuben. Ulerich von Württemberg hatte jene Stimme in mancher Nacht vernommen, die er sorgenvoll auf seinem Lager durchwachte. Er glaubte das Geräusch vieler Gewappneter und die dröhnenden Tritte eines Heeres zu vernehmen, er glaubte sie näher und näher um ihn sich lagern zu hören, und wenn er sich auch überzeugte, daß es nur die Nachtluft war, die um die Türme seines Schlosses brauste, so blieb doch eine finstere Ahnung in ihm zurück, daß sein Schicksal noch einmal sich wenden könnte. Jene Warnung des alten Ritters von Lichtenstein tönte oft in seiner Seele wider, und vergeblich strengte er sich an, die künstlichen Folgerungen seines Kanzlers sich zu wiederholen, um ein Verfahren bei sich zu entschuldigen, das ihm jetzt zum wenigsten nicht genug überdacht schien. Denn seine alten Feinde rüsteten sich mit Macht. Der Bund hatte ein neues Heer geworben und drang herab ins Land, näher und näher an das Herz von Württemberg. Die Reichsstadt Eßlingen bot für diese Unternehmungen einen nur zu günstigen Stützpunkt. Sie liegt nur wenige Stunden von der Hauptstadt, beinahe mitten im Lande, und war, sobald das Heer des Bundes die Kommunikation mit ihr hergestellt hatte, eine furchtbare [383] Schanze, um Ausfälle nach Württemberg zu begünstigen und zu decken. Das Landvolk nahm an vielen Orten den Bund günstig auf, denn der Herzog hatte sie durch die neue Art, wie er sich huldigen ließ, ängstlich gemacht. Der Württemberger liebt von jeher das Alte und Hergebrachte. Altes Recht, alte Ordnung, sind ihm goldene Worte, wenn er auch oft nicht weiß, was sie bedeuten, und ob das Neue nicht besser ist. Seine Ruhe, die er bei anderen Zufällen des Lebens zeigt, verläßt ihn, wenn man von Neuerungen spricht, und ein Eigensinn, der sogar Trotz wird, läßt ihn das Alte mit einer Glut, mit einer natürlichen Begeisterung umfassen, die ihm sonst fremd ist und gänzlich außer seinem Wesen, der ruhigen, biederen Geschäftigkeit, liegt.

Diese Liebe zum Alten hatte der Herzog an seinem Volk erfahren, als er einige Jahre zuvor seinen Räten folgte und zur Verbesserung seiner Finanzen ein neues Maß und Gewicht einführte. Der „arme Konrad“, ein förmlicher Aufstand armer Leute, hatten ihn nachdenklich gemacht und den Tübinger Vertrag eingeleitet. Diese Liebe zum Alten hatte sich auf eine rührende Weise an ihm gezeigt, als der Bund ins Land fiel und das Haupt des alten Fürstenstammes verjagen wollte. Ihre Väter und Großväter hatten unter den Herzogen und Grafen von Württemberg gelebt, darum war ihnen jeder verhaßt, der diese verdrängen wollte; wie wenig sie das Neue lieben, hatten sie dem Bunde und seinen Statthaltern oft genug bewiesen.

Der alte angestammte Herzog, ein Württemberger, kam wieder ins Land; sie zogen ihm freudig zu; sie glaubten, jetzt werde es wieder hergehen wie „vor alters“; sie hätten recht gerne Steuern bezahlt, Zehnten gegeben, Gülden aller Art entrichtet und Fronen geleistet; sie hätten über Schwereres nicht gemurrt, wenn es nur nach hergebrachter Art geschehen wäre. So gut ward es ihnen aber nicht; die alten Formeln waren aus dem Huldigungseid verschwunden, die Steuern wurden nicht mehr nach hergebrachter Sitte eingezogen, es war alles anders als früher, kein Wunder, wenn sie den Herzog als einen neuen Herren ansahen und murrend nach dem alten Recht verlangten. Sie hatten zu Ulerich kein Zutrauen mehr, nicht weil seine Hand schwerer auf ihnen ruhte

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 382–383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_214.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)