Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke | |
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eines Morgens in der Frühe an einem schwermütigen Gesang mit eigentümlich getragenen Akkorden; er öffnet das Fenster und lauscht. Die Töne kommen aus dem unter seinem Fenster angebauten Raume, in welchem Landmädchen beim Waschen beschäftigt sind. Vom Texte selbst ist nur wenig zu verstehen, aber die Melodie hat ihn wundersam ergriffen, und – wie über die Schranken seiner Kraft hinausgehoben, wie von einem leisen Hauch der Ahnung betroffen, dichtet er im Angesicht der Morgenröte, die den Himmel färbt, in einem Zuge das Lied, das für ihn selbst so prophetisch werden sollte, vom Morgenrot, dem Boten frühen Todes.“
Auf welchen thatsächlichen Grundlagen diese anmutige Darstellung Klaibers beruht, wissen wir nicht, können jedoch annehmen, daß sie verbürgt sind und also der oben geschilderte Vorfall wirklich die Veranlassung zu unserem herrlichen Liede war. Bezweifeln jedoch müssen wir, daß Hauff, wie aus obigem zu schließen wäre, gar keinen Text zu der dem schwäbischen Volke längst bekannten Melodie gekannt habe, die wenigstens, wenn sie nicht noch älter ist, aus der Mitte des 18. Jahrhunderts stammt. Ist auch der Text in Hauffs Liede ein ganz anderer, so zeigen doch einige Verse und Wendungen deutlich genug, daß er auch einen Text des alten Liedes gekannt haben muß. Dieser behandelt ursprünglich die ungetreue Liebe, und zwar in der einen längeren und wahrscheinlich auch älteren Fassung die Klage eines Mädchens über die falsche Liebe des Mannes und in zwei kürzeren und vermutlich neueren Fassungen die Untreue des Mädchens. Alle drei mir bekannt gewordenen Texte mögen hier folgen. Den ersten hat Hoffmann von Fallersleben 1874 im ersten Bande des „Archivs für die Geschichte der deutschen Sprache und Dichtung“ aus einem Arienbuche von „Madem. Christina Sophia Albrechtin in Leipzig, 1754“, mitgeteilt; er lautet:
Falsche Liebe. | |
1. Wie gedacht, |
3. Dein Betrug, |
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5. Hast du nicht |
7. Bin ich arm, |
9. Weg mit dir,
Falsches Herze, weg mit dir!
Ich zerreiße deine Kette,
Ob ich auch nicht Schönres hätte,
Das nur redlich meint mit mir.
Die zweite Form findet sich in der Sammlung schwäbischer Volkslieder, die E. Meier 1855 herausgab:
Ach wie bald. | |
1. |
3. |
5.
Es gibt noch viel, es gibt noch viel,
Zwei, drei Rosen auf einem Stiel.
Schönstes Blümlein in dem Garten,
Reife Rosen auf uns warten,
Brechet ab, was euch gefällt.
Der dritte Text findet sich gedruckt in Erk und Irmers Sammlung von Volksliedern, 3. Heft, Nr. 62; er lautet:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 436–437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_241.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)